Die Gegner der Initiative ‚Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie‘ betonen, die Schweiz würde bei einer etappierten und geplanten Stilllegung der Atomkraftwerke Dreckstrom aus dem Ausland beziehen. Die Initiative sei abzulehnen, da dies «schelmisch» und «scheinheilig» wäre, argumentierte der Bündner Regierungsrat Mario Cavigelli. Nur drei Jahre zuvor stand er für ein Kohlekraftwerk in Saline Joniche (Kalabrien) ein. Dieser Artikel erklärt das zwiespältige Verhalten von Exponenten wie Mario Cavigelli oder Bundesrätin Doris Leuthard im Vorfeld der Abstimmung um den geordneten Atomausstieg.
Das Vorgehen der Gegner der Atomausstiegsinitiative erinnert unangenehm an die Kampagne gegen die Initiative ‚Für sauberen Strom ohne Kohlekraft‘ in Graubünden, die 2013 knapp angenommen und 2015 sehr deutlich bestätigt wurde.
Erneut operiert die Seite, die sich gegen Veränderungen stemmt, mit taktischen Fehlbehauptungen, welche die Zukunft betreffen, wenn nicht sogar mit eindeutig widerlegbaren Lügen.
- Erneut wird die Initiative trotz moderatem Ansatz als «extrem» tituliert.
- Sauberer statt dreckiger Strom bedeute Chaos und wäre „verheerend“, wurde und wird gleichermassen behauptet.
- Ein Technologieverbot sei unpassend, wird damals wie heute ins Feld geführt.
- Jetzt wie einst wird behauptet, die Versorgungssicherheit würde gefährdet.
- Die Behauptung, eine Annahme der Initiative würde hohe Schadenersatzforderungen und -zahlungen auslösen, wurde 2013 auch schon erhoben.
- Und in beiden Fällen wurde beziehungsweise wird behauptet, Deutschland setze auf Kohlekraftwerke, was bereits hier widerlegt ist.
Von den Behauptungen, die 2013 ins Feld geführt worden waren, hat sich keine bewahrheitet. Viele Argumente und Behauptungen waren 2013 von Beginn weg falsch, heute sind sie praktisch alle widerlegt.
Sollte die Initiative, welche die Betriebsdauer der Schweizer AKW beschränkt, entgegen den Erwartungen angenommen werden, werden sich fast alle Behauptungen der Gegner der Initiative genauso schnell in Luft auflösen, wie diejenigen von 2013. Das ist keine schwierige Vorhersage.
Und erneut stehen Regierung und Parlament auf der einen, die Bevölkerung auf der anderen Seite. Der Grund dafür ist wohl auch in beiden Fällen derselbe: Hinter der Gegenkampagne stecken die AKW-Stromwirtschaft und die Kantone, denen die Atomstromkonzerne überwiegend gehören. Stromwirtschaft und AKW-Kantone sind in Parlament und Regierung bestens vertreten. (Wie schamlos die grossen Stromkonzerne die Politik manipulieren, ist am Schluss dieses Beitrags angedeutet und wird auf retropower.ch noch ausführlich beschrieben werden.) Es ist unschwer zu ahnen, dass die Konzerne auch bei der Gegenkampagne zur Atomausstiegsinitiative vordergründig zurückhaltend sind, aber im Hintergrund die Fäden ziehen, die AKW Kantone in ihrem Rücken wissend.
Die Speerspitzen der Kampagnen gegen die beiden Initiativen sind, beziehungsweise waren, die zuständigen Regierungsvertreter. Sie werden von den gleichen Parteien unterstützt und sogar auch weitgehend von den gleichen Organisationen (z. B., es ist erstaunlich, dem Gewerbeverband). Selbst einige der wichtigsten Exponenten sind die gleichen:
- Im Co-Präsidium der Gegenkampagne zur Ausstiegsinitiative ist auch Mario Cavigelli, CVP.
- Martin Candinas, CVP, Nationalrat GR, war 2013 Mitglied des Komitees der Gegenkampagne.
- Stefan Engler, ebenfalls CVP, profiliert sich nun in Inseraten des Hauseigentümerverbands als Klimaschützer. Die Pläne der Repower für Giga-Kohlekraftwerke im Ausland hatte er stets verteidigt, als er als Cavigellis Amtsvorgänger amtete.
Meinungswandel und fossile Hypothek der Stromkonzerne
Die AKW-Konzerne, die zweifellos diskret aber federführend hinter der Gegenkampagne stecken, haben im Ausland Kohle- und Gaskraftwerke gekauft und gebaut, als gäbe es keine Zukunft. Diese Kraftwerke können fast das Doppelte an Strom produzieren, wie alle AKW in der Schweiz zusammen, sind unwirtschaftlich und haben den Konzernen Milliarden an Verlusten gebracht.
Es soll in diesem Zusammenhang bitte niemand glauben oder suggerieren, der Strom aus den Auslandkraftwerken der Schweizer Energiewirtschaft werde importiert, wenn die AKW stillstehen. Dafür sind die Gas- und Kohlekraftwerke nicht da. Sie produzieren in den europäischen Netzverbund.
Und: Es spielt keine Rolle, welchen Strom die Schweiz importiert. Es spielt nur eine Rolle, wie Strom produziert wird — in der Schweiz oder anderswo im europäischen Netzverbund. Denn es gibt genügend Konsumenten, die wahllos Strom aus sauberen oder unsauberen Quellen konsumieren. Und es gibt bereits mehr als genug sauberen Strom, um die diesbezügliche Nachfrage zu decken. Wir sind sehr weit davon entfernt, dass ein kritisches, selektives Konsumverhalten am Strommix etwas ändern könnte und ein Ende dieser Situation ist nicht abzusehen.
Die Tatsache, dass die AKW-Konzerne sozusagen gerade erst gestern die Erträge aus den goldenen Jahren der Stromwirtschaft in fossile Auslandkraftwerke verpulverten, ist in der Debatte um den Atomausstieg kaum Thema, obschon diese Konzerne sich offen in die Kampagne einbringen — was die Schadenersatzforderungen betrifft wohl konzertiert mit der Argumentation von Doris Leuthard.
Dass den Konzernen ihre fossilen Altlasten nicht lauter vorgeworfen werden, wenn sie ihnen — ausser hier — überhaupt vorgeworfen werden, ist seltsam. Vielleicht ist es dadurch begründet, dass die Pro-Kampagne in der Kohlestromfrage bemerkenswert hilflos und wenig selbstbewusst agiert.
Meinungsumschwünge von Mario Cavigelli
Es sei «schelmisch» und «scheinheilig», wagte Mario Cavigelli, der oberste Gegner der Bündner Antikohle-Initiative zu behaupten, wenn die Schweiz wegen des Atomausstiegs Kohlestrom importiere.
Die plötzliche Betroffenheit über Kohlekraftwerke desjenigen, der 2013 noch sagte, CO2 würden wir auch mit unserem Atem ausstossen, um der Repower den Bau eines 1’300 Megawatt starken Kohlekraftwerks zu ermöglichen, ist verblüffend.
Nie waren derartige Bedenken wahrnehmbar, wenn sich Cavigelli über Pumpspeicherkraftwerke äusserte, wie zum Beispiel das Projekt Lagobianco der Repower, ein weiterer Grund um Cavigelli der Heuchelei zu bezichtigen. Dabei ist klar, dass deren Pumpen, einschliesslich im Fall Lagobianco, ursprünglich mit Kohle- und Atomstrom hätten angetrieben werden sollen — darunter auch mit Strom aus neuen Schweizer AKW. Heute ist allerdings ebenso klar, dass nur eine konsequente Energiewende die Rentabilität der Pumpspeicherkraftwerke wieder herstellen kann.
«Kohlekraftwerke haben wir ihnen mit einer Initiative austreiben müssen.» Silva Semadeni über die Bündner Kohlestrom-Wendehälse. Auszug aus einer Sendung von Südostschweiz TV, ca. am 18.11.2016.
Eines von Cavigellis Argumenten gegen die Antikohle Initiative war 2013 besonders raffiniert gewesen, weil es zum Teil sogar richtig war — auch wenn aus seinen Aussagen hervorgeht, dass er das Emissionshandelssystem nicht verstanden hatte. (Das Argument war sogar so raffiniert und komplex gewesen, dass nach Wahrnehmung des Schreibenden niemand versuchte, es zu widerlegen.)
Angeleitet durch die Repower argumentierte Cavigelli, neue Kohlekraftwerke würden wegen des CO2-Emissionshandelssystems der EU, dem sogenannten ETS, keine zusätzlichen Emissionen verursachen, weil diese zwingend «kompensiert» werden müssten.
Die Behauptung war scheinheilig, weil es dem Argument diametral widersprach, das die Gegner einer sauberen Energieversorgung stets bemühen: die Versorgungssicherheit. Denn ein Kohlekraftwerk kann pro Menge ausgestossenes CO2 weniger Strom produzieren als jedes andere Kraftwerk. Es mindert also die Stromproduktion, denn die CO2-Emissionen der grossen Emittenten sind in der EU rationiert, also gedeckelt.
Das ETS ist ein Rationierungs- und Handelssystem — mit bisher einer kleinen Komponente von Kompensation —, aber nicht ein eigentliches Kompensationssystem. Die EU gibt jährlich eine beschränkte Zahl von CO2-Emissionsrechten aus, sogenannte Zertifikate. Stossen Grossemittenten wie Kohle- oder Gaskraftwerke CO2 aus, müssen sie pro Tonne ein Zertifikat einreichen. Die jährlich ausgegebene Menge von Zertifikaten sinkt von Jahr zu Jahr entsprechend eines vorgegebenen Absenkpfads.
Kurz- und mittelfristig gilt die bestehende Deckelung und sorgt dafür, dass insgesamt nicht mehr CO2 ausgestossen wird — und für das Klima zählt nur die Gesamtheit der CO2-Emissionen. Die Deckelung gilt und wirkt auch dann, wenn zum Beispiel die Schweiz wegen der Stilllegung von AKW mehr Strom importiert. (Das Argument wurde von den AKW Gegnern reichlich spät eingebracht und verbreitet.)
Langfristig, wie zum Beispiel während der Betriebsdauer eines neuen Kohlekraftwerks, ist die Rationierung oder Deckelung durch das ETS nicht in Stein gemeisselt, weil der bescheidene Absenkpfad der Deckelung nicht ewig unverändert bleiben kann. Es kann erwartet werden — muss befürchtet werden—, dass neue und langlebige fossile Infrastruktur die langfristige Anpassung des Absenkpfads negativ beeinflusst. Denn die EU würde wohl davor zurückschrecken, kolossale Investitionen wie neue Kohlekraftwerke oder Gaspipelines mittels des ETS in Investitionsruinen zu verwandeln.
Kurz: Die CO2-Emissionen der grossen Emittenten sind in der EU beschränkt (gedeckelt, rationiert). Eine Erhöhung des Imports von Strom aus der EU kann wegen des Emissionshandelssystems unter dem Strich keinen Mehrausstoss von CO2 bewirken.
Flugs hat Cavigelli sein bestes Argument von 2013 wieder vergessen. Wahr und wichtig ist für den Bündner Regierungsrat, was ihm gerade im Moment passt.
Vor der Abstimmung in Graubünden hatten die Gegner der Initiative Strom aus Kohle als unumgänglich und unproblematisch dargestellt. Nun ist Strom aus Kohlekraftwerken dreckig und Importe von Dreckstrom sind unbedingt zu vermeiden. Eine wundersame Verwandlung im Geist hat scheinbar stattgefunden — in nur drei Jahren. Cavigelli wird von seiner Regierungspartnerin Barbara Janom-Steiner 1, seinem Amtsvorgänger Stefan Engler (s. Inserat/Bild oben), Nationalrat Martin Candinas 2 und den Mitgliedern des Grossen Rats Alessandro Della Vedova 3, Angela Casanova-Maron 4, Marcus Caduff 5 und Rico Stiffler 6 sekundiert, die sich mit ihrer Wendehalsigkeit zu profilieren versuchen.
Was vordergründig unerklärbar ist, hat einen einfachen Hintergrund. Cavigelli und die anderen Bündner Wendehälse setzen sich in beiden Fällen für die Interessen der Repower ein, die sie offenbar als deckungsgleich mit denjenigen des Kantons Graubünden erachten — die aber, eher deckungsgleich mit ihren eigenen Interessen sind.
Die Repower bezieht jährlich rund 345 Gigawattstunden Strom aus AKW-Beteiligungen, aus Bugey und Cattenom, aber auch aus Gösgen und Leibstadt. Nur bescheidene 660 Gigawattstunden produziert der Konzern in Wasserkraftwerken, alle eigenen Kraftwerke und echten Beteiligungen inklusive. Der Anteil des gesamten AKW Stroms der Repower an der Summe aus Wasser, Wind, Sonne und Uran beträgt fast 30%. (Ausgenommen ist bei diesen Anteilen die stark fluktuierende Stromproduktion im Gaskraftwerk Teverola, das Repower angeblich verkaufen will. Repower will auch die AKW-Beteiligungen veräussern.) Der Repower kommt wegen der AKW-Beteiligung und -Verkaufsabsicht ein terminiertes Ende der Schweizer Atomkraftwerke ungelegen. Wohl auch das motiviert vermutlich Cavigelli zu seinem Einsatz gegen die AKW-Ausstiegsinitiative, soweit er überhaupt noch motiviert ist.
Die französischen AKW-Beteiligungen sind mit einer Produktion von 251 Gigawattstunden pro Jahr für Repower jedoch viel wichtiger als die Schweizer AKW-Beteiligungen (Produktion: 94 GWh). Für einen kleinen Anteil Strom aus inländischen AKW-Beteiligungen der Repower (8%, ausser aus Erdgas), ist Cavigelli bereit, gegen die Interessen der Bündner Wasserkraft-Konzessionäre zu arbeiten. Die Konzessionsgemeinden Graubündens haben hingegen begriffen, welches ihre Interessenslage ist. Seltsam ist die Haltung der Kantonsregierung ausserdem, weil nicht nur Gemeinden in Graubünden Wasserzinsen einnehmen. Die Verwaltung des Gebirgskantons tut es auch. Sie nimmt sogar die meisten Wasserzinsen ein.
Der Verdacht liegt jedoch nahe, dass sich Cavigelli (wie auch Martin Candinas, GR, und zum Beispiel Kathy Riklin, ZH) mit seinem überraschenden Einsatz und Meinungswandel primär in der Schweizer CVP Parteizentrale und bei Bundesrätin Leuthard beliebt machen will.
In einem Pamphlet, das Cavigelli auf der Website der CVP Schweiz publizierte, behautet er, der Atomausstieg würde sich nicht auf die Rentabilität der Wasserkraft auswirken. Und: «Das Potential der Wasserkraft ist weitgehend ausgeschöpft.» Es ist ein Fall doppelter Wendehalsigkeit, denn 2011 behauptete er noch das Gegenteil: Die Südostschweiz übertitelte den Onlineartikel zu einem Interview mit Cavigelli damals so: «Ausstieg aus der Atomkraft bringt Graubünden Mehreinnahmen». Dabei bezog er sich auf 50 Jahre Betriebsdauer der AKW also sogar mehr als die Atomausstieg-Initiative (45 bzw. 47 Jahre). Seiner Meinung nach sei die Wasserkraft noch nicht ausgeschöpft, liess sich der Regierungsrat damals noch zitieren.
Es war die Zeit, nach Fukushima, als auch Doris Leuthard noch ganz anders tönte, als sie es jetzt tut. („techniquement c’est possible, économiquement c’est possible et c’est aussi une chance pour le pais, pour un changement dans notre politique énergétique …“). Nun will Leuthard gar nichts ändern. Wie bisher sollen die AKW auf unbestimmte Zeit weiterlaufen.
Doris Leuthard auch heuchlerisch
Eine ähnliche wunderbare Verwandlung, wie diejenige von Regierungsrat Cavigelli, hat auch in der Landesregierung stattgefunden und wird durch Doris Leuthard verkörpert. Als die Schweizer Energiekonzerne im Ausland Gas- und Kohlekraftwerke bauten, als gäbe es keine Zukunft, erhielt der Bundesrat Anfragen von Parlamentariern und zahlreiche Briefe von besorgten Bürgern (und einen des weltweit vielleicht prominentesten Klimaforschers) mit der Aufforderung, gegen die gefährliche und teure Euphorie Einspruch zu erheben (im Fall des Klimaforschers: alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Euphorie zu stoppen).
Die Antwort von Bundesrat und Bundesverwaltung war stets die gleiche: Die Stromkonzerne seien privatwirtschaftlich organisiert und grösstenteils im Besitz der Kantone. Der Bund habe darum weder Anlass noch Möglichkeit, die Stromkonzerne und ihre Vorhaben zu beeinflussen — ein Fall von Organisierter Verantwortungslosigkeit und — in gewisser Hinsicht sogar eine Lüge. Denn der Bund beeinflusste den Bau der fossilen Kraftwerke schon, aber anders herum. Er stellte den Energiekonzernen fast systematisch und fast bis zuletzt Honorarkonsuln zur Seite, die den Unternehmen bei der Umsetzung ihrer ruinösen Pläne halfen.
Bedonders viel Aufsehen erregte das Mandat von Renato Vitetta, der die Projektierung des Kohlekraftwerks in Saline Joniche unterstützte, und dabei etwas übereifrig wurde. Der zweifelhafte Erfolg der bundesrätlichen Unterstützung ist ein Multi-Milliarden-Schaden, ein Schaden von volkswirtschaftlicher Bedeutung.
Als Folge ihrer Fehlinvestitionen in fossile Kraftwerke lavieren die Stromkonzerne ökonomisch am Abgrund, in einem Mass, dass unsicher ist, ob sie für den Rückbau der Atommeiler aufkommen können, von den Folgekosten der AKW wegen des strahlenden Mülls ganz zu schweigen.
Wie Cavigelli, wird auch Leuthard bestens durch Vertreter der Legislative sekundiert, die sich überraschend und plötzlich Sorgen um Kohlestromimporte machen und Zahlen aufblähen, dass man sich nur wundern kann. Ein Beispiel, Werner Luginbühl, ist in diesem Beitrag auf retropower erwähnt.
Das Konzept der AKW-Unternehmen und ihrer Besitzerkantone war wohl von Anfang an gewesen, in einem grossen Coup die längerfristigen Folgekosten der Atomtechnologie schliesslich dem Bund zu übertragen. Andernfalls hätte sie nicht von Beginn weg eine eigentliche Lobby-Industrie aufgebaut. Und gerade läuft dank freundlicher Unterstützung der obrigkeitsgläubigen Presse die Public Affairs Kampagne zu diesem Zweck wie geschmiert — egal wie peinlich es ist, dass jeder, der es wissen will, nun wissen kann, wie „grusig“ und schamlos die Strombranche genau in dieser Sache operiert — und nicht nur in dieser.
Doris Leuthards problematischer Umgang mit der Wahrheit ist in diesem Artikel auf retropower.ch beschrieben.
Angesichts des unerhörten aber selten thematisierten Restrisikos würde man von der Bundesrätin erwarten, dass sie in eigenem Interesse für ein schnelles Ende des AKW-Betriebs einsteht. Dies auch, weil die Kosten der Müllverwahrung auch von der Menge des Mülls abhängen und ins Unermessliche zu steigen drohen — und, so der Plan der Stromkonzerne, am Bund hängen bleiben sollen.
Dass sich Leuthard in solchem Mass exponiert, um den Weiterbetrieb der AKW zu sichern, muss verwundern und soll noch Thema auf retropower.ch sein.
Anmerkungen
Weitere Bündner Wendehälse in der Sache Kohlestrom sind — ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
1 — Barbara Janom-Steiner, Regierungsrätin GR, BDP
2013 war Janom bereits Mitglied der Regierung, die sich vehement gegen die Antikohle Initiative aussprach. Allerdings war sie nicht auffällig in der Sache.
2016: Am 29. Oktober wurde sie im Bündner Tagblatt so zitiert: «Sollten 2017 drei Atomkraftwerke vom Netz gehen, lassen sich die Lücken nur mit Atom- oder ökologisch bedenklichem Kohlestrom aus dem Ausland schliessen.»
2 — Nationalrat Martin Candinas, Nationalrat, CVP
2013 war Candinas Mitglied des Komitees „Nein zur schädlichen Kohleinitiative“.
2016: Am 28. Oktober schrieb er im Bündner Tagblatt: «Da es sich bei den Stromkonzernen in unserem Land um gewinnorientierte Firmen handelt und niemand bereit ist für den Strom massiv mehr zu bezahlen, würden die Stromkonzerne sicher nicht teuren Ökostrom, sondern im besten Fall Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Deutschland importieren. Im schlimmsten Fall würden wir mehr Gas aus Russland und Erdöl aus dem arabischen Raum benötigen, um unsere Energieversorgung zu sichern. Das wäre für unsere Umwelt fatal und würde genau zum Gegenteil von dem führen, was die Initianten vorgeben zu wollen. Denn unser mittelfristiges Ziel – und hier ist die CVP mit den Initianten einig – muss sein: weniger CO2-Ausstoss und Atomausstieg.» Die Basler Zeitung legte einen anderen Aspekt des zwiespältigen Politikers bloss.
3 — Alessandro Della Vedova, Grossrat GR, CVP
2013 exponierte sich Della Vedova sehr markant, um gegen die Antikohle-Initiative zu argumentieren und er sagte, Deutschland und andere Länder würden wegen des Atomausstiegs auf Kohlekraftwerke setzen, um ein Kohlekraftwerk der Repower in Kalabrien zu rechtfertigen, zum Beispiel in einem Interview der RSI vom 11. September 2013 von Nicola Lüönd.
2016: Am 2. November schrieb Della Vedova im Bündner Tagblatt: «Die einzigen, die die teure Rechnung der Energiewende derzeit zahlen müssen sind unsere Berggemeinden- und Kantone [sic], zur Freude der Flachländer, die alte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb gesetzt oder Neue gebaut haben.» In nur 3 Jahren verdreht Della Vedova die Argumentation sogar im Detail um 180 Grad und stellt sie auf den Kopf. (Noch immer will sich Della Vedova aber nicht vom Irrglauben verabschieden, die Energiewende hätte einen Boom der Kohlekraft ausgelöst, oder macht zumindest immer noch mit dieser Fehlbehauptung Propaganda.)
4 — Angela Casanova-Maron, Grossrätin GR, FDP
2013 war Casanova-Maron Mitglied der Komitees, das ein Kohlekraftwerk der Repower durchwinken wollte und schrieb zu diesem Zweck einen Leserbrief.
2016 schrieb Casanova-Maron in einem weiteren Leserbrief: «Es wäre unverantwortbar, die Stromlücke mit deutschem Kohlestrom oder französischem Atomstrom aus deutlich schlechter überprüften AKWs decken zu wollen und die Versorgungssicherheit ernsthaft zu gefährden.» (Am 28.10. im Bündner Tagblatt; Weshalb Frau Casanova glaubt, die Schweizer AKW seien deutlich besser „überprüft“ als andere AKW, entzieht sich meiner Kenntnis.)
5 — Marcus Caduff, Grossrat GR, CVP
2013 war auch Caduff Mitglied im pro-Kohlekraftwerk Komitee und engagierte sich aktiv gegen die Initiative.
2016 Schrieb er in einem Leserbrief: «Wollen wir zur Überbrückung der entstehenden Engpässe wirklich ausländischen Atom- und Kohlestrom importieren und Wasserkraft unsinnig gegen Kernkraft ausspielen? Das ist ganz bestimmt nicht im Sinne unseres Landes. Und erst recht nicht im Sinne unserer Kinder.» (Publiziert am 2. November im Bündner Tagblatt.)
6 — Rico Stiffler, Grossrat GR, BDP
2013 war auch Stiffler Mitglied des Komitees, das ein neues Gigawatt-Kohlekraftwerk aktiv befürwortete.
2016 schrieb er in einem Leserbrief: «Die Folge eines überstürzten Ausstiegs wäre Importstrom aus Kohlekraftwerken. Das schädigt das Klima und sorgt zu guter Letzt dafür, dass wir im Winter keinen Schnee mehr haben.» (Der Leserbrief erschien am 17. November in der Südostschweiz.)
____
View pdf of this post.