Die grossen Schweizer Stromkonzerne bereiten ihren ganz grossen Coup Organisierter Verantwortungslosigkeit schon seit Jahren vor. Entgegen allen vorgehaltenen Versprechen soll der Bund die Folgekosten der Atomenergie tragen. Es kann dabei um mehr Geld gehen, als zur Rettung der UBS eingesetzt wurde. Die jüngsten Entwicklungen belegen: Obschon der Plan an die Öffentlichkeit gelangte und medial kommentiert wurde, läuft die Kampagne fast perfekt nach dem Drehbuch der Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten. Den Kampgnenplan für die Alpiq verfasst hat der Lobbyist Dominique Reber.
« Das Konzept fokussiert auf die grossen, relevanten PA Themen der Wasserkraft und der Kernkraft. Public Affairs [PA] ist dabei ein wichtiges Element zur Erreichung des Business-Plans, es muss mit diesem abgestimmt sein! (Work in Progress) »
« Sicherstellen, dass das schwächste Glied dann die Lösung übernehmen muss (z.B. der Bund als Summe aller Kantone). »
Auszüge aus dem Public Affairs Konzept von
Dominique Reber der Hirzel.Neef.Schmid.Konsultenten.
Organisierte Verantwortungslosigkeit in grossem Stil
Erstens soll die Allgemeinheit die Grosswasserkraftwerke subventionieren und zweitens — in dieser Reihenfolge — soll der Bund die «unabsehbaren Kosten für die Stilllegung» der Atomkraftwerke übernehmen. Das «Public Affairs Konzept 2016» von Dominque Reber, bzw. der Hirzel.Neef.Schmid (HNS) Konsulenten, das (sehr entgegen dem Plan!) in die Öffentlichkeit gelangte zeigt, mit welcher Selbstverständlichkeit die Branche die Politik zu beeinflussen pflegt, um den Staat zu missbrauchen.
Das vom ehemaligen Geschäftsleitungsmitglied der Economiesuisse Dominique Reber verfasste Lobbykonzept wurde von der Alpiq bestellt. An der Kampagne sollen sich auch andere Stromkonzerne beteiligen. Im Papier heissen sie „die mitwirkenden Firmen“. Axpo wird genannt. Repowers Mitwirkung in der Vergangenheit ist überdeutlich und Repowers Mitwirkung in der Zukunft muss als Absicht vermutet werden. Letzteres auch wegen der auffälligen Prominenz des Quotenmodells in Rebers Papier. Das Bündner Unternehmen wird aber nicht namentlich erwähnt.
Rebers „Draft“ Lobbypapier beschreibt das Problem so: «Trotz der erfolgreichen Lobbyarbeit in der Wasserkraft, kann also nicht vorausgesetzt werden, dass die fundamentalen Veränderungen in den Energiemärkten von Entscheidträgern verstanden wird [sic].»
Hintergrund und Vorwand für die Verstärkung oder Fortsetzung der Lobbyarbeit sind so beschrieben: «Die aktuelle Situation tiefer Preise ist in politischer Hinsicht eine Belastung und auch eine Opportunität für die dringliche Positionierung aller Energiethemen auf der Agenda. Gelingt es „offene strategische Flanken“ in der Energiepolitik mit dem Argument tiefer Preise zu schliessen, ist ein grosser Schritt für das Unternehmen erreicht.»
Die Methoden zur Organisation der ganz grossen Verantwortungslosigkeit im Energiesektor sind gemäss dem durch ein Leck bekannt gewordenen Papier u. a. diese: «Die zunehmenden Entlassungen in Unternehmen begünstigen die Diskussion über eine Rechnung der Wasserkraft und der Kernenergie durch den Staat dann, wenn die einzige Alternative zur Rettung ein Verlust an Arbeitsplätzen mit hohen sozialen Folgekosten für die Standortkantone wäre.»; «Wichtig ist, dass Alpiq aus der zweiten Reihe arbeitet! Dies erhöht die Chancen auf Erfolg. Je mehr die Probleme als Probleme von Alpiq wahrgenommen werden, desto unwahrscheinlicher ist, dass sich die Politik bewegt. Je besser es gelingt [sic] die Probleme zu volkswirtschaftlich relevanten Themen zu machen, desto grösser sind die Erfolgschancen. Die Rolle von Alpiq ist es, den Prozess aus der zweiten Reihe zu steuern, Inhalte zu kommentieren, zu finanzieren (Kontrolle behalten) und sicherzustellen, dass alle Lösungsvarianten geeignet sind.»
Zum Thema Transparenz äusserte sich Dominique Reber so: «Das Thema darf unter keinen Umständen zur Sache von Alpiq (CEO oder VR) werden – das würde die Erfolgschancen massiv schmälern.» Und im Klartext: «Keine Indiskretionen – entsprechende Vorbereitung und Kommunikationstrainings.»
Weitere Vorgehensempfehlungen sind: «Die Energieversorgungsverbände müssten durch Alpiq und AXPO gesteuert werden (Wasserwirtschaft, VSE, SE); Wirtschaftsverbände müssten durch AXPO und Alpiq neutralisiert werden; Ziel müsste sein, möglichst wenig Sperrfeuer seitens Verbandsorganisationen oder Think Tanks zu haben.»
Gemachte Erfahrungen gibt es zu berücksichtigen, positive: «Über zwei Jahre intensive Lobbyarbeit ist es Alpiq gelungen, die Förderung der Wasserkraft gegen Wunsch und Willen von Bundesrat und Behörde via Parlament mehrheitsfähig in die Energiestrategie aufzunehmen. Dies gelang dank einer Allianz mit anderen Unternehmen in der „Wirbelsäule Wasserkraft“ und in Kooperation mit Gebirgskantonen und Energiedirektoren».
Aus negativen Erfahrungen gilt es auch zu lernen: «Die meisten Public Affairs Initiativen scheitern, dass [sic] die Problembewirtschaftung nicht oder ungenügend gemacht wird.»
Ausformuliert heisst das: Es geht darum, erfolgreich Probleme zu generieren, damit andere dann für die Problemlösung bezahlen. Oder: Die Stromkonzerne sollen Probleme generieren und «bewirtschaften», um selbst von der Problemlösung zu profitieren. Früher hiess es: Die Kosten dem Staat, die Gewinne für uns. Heute gehen Konzerne wie Alpiq offenbar noch einen Schritt weiter. Jedenfalls wird ihnen das von den HNS-Konsulenten empfohlen.
Im Prinzip steht da: Je mehr Mitarbeiter ihr entlässt, umso eher wird die Eidgenossenschaft von euch verursachte Kosten in unabsehbarer Höhe vorsorglich übernehmen. Es gab einmal eine Zeit, da hätte ein solcher Plan unter Sozialisten Wutausbrüche provoziert. Aber die Unterstützung der Sozialdemokraten geht sogar soweit, dass der Tages-Anzeiger schreibt: «Von links kommt die Forderung, die AKW in eine staatliche Auffanggesellschaft einzubringen.» Dominique Reber dürfte eine solche Aussage — erst noch des Tages-Anzeigers — selbst in seinen wildesten Träumen kaum erhofft haben. Der Mann ist sein Geld wert. Immerhin das kann positiv über den Lobbyisten vermerkt werden.
Christoph Blocher eilt Alpiq zu Hilfe
Blocher lehnt vordergründig die Idee einer staatlichen Auffanggesellschaft für die AKW ab. (Welches die Position von Blocher und der SVP sein wird, wenn es dann konkret darum geht, die AKW-Folgekosten dem Bund zu übertragen, werden wir sehen.)
Gleichzeitig bringt er das Quotenmodell prominent in die Diskussion, ohne allerdings diesen Ausdruck zu verwenden, obwohl die interviewenden Journalisten ihm den Ausdruck in den Mund zu legen versuchten.
Blocher nennt die Unterstützung für Atomkraftwerke «Subventionen». Sie sollen gemäss Blocher so ausgeschüttet werden: «Man könnte den Stromversorgern einen Strommix mit einem Anteil Inlandproduktion vorschreiben.» Das wäre nichts anderes als ein Quotenmodell mit Inlandbevorzugung, mit einer Vorgabe (Quote) auch für AKW. Die Kampagne läuft nach Rebers Plan. Mit etwas Verspätung ist die Kampagne in Phase III.
Alle Alternativen müssen der Stromwirtschaft passen, anderes darf politisch nicht in Frage kommen: «Meinungsträger dürfen wählen, welchen Weg sie gehen wollen, nicht ob sie einen gehen wollen…»; «Sicherstellen, dass das schwächste Glied dann die Lösung übernehmen muss (z.B. der Bund als Summe aller Kantone).»
Die Vorarbeit trägt Früchte. Sie bestand unter anderem darin:
- Über die Medien werden Nachrichten über das angebliche Leiden der Stromwirtschaft verbreitet.
- Alpiq bietet die in der Schweiz romantisierten Wasserkraftwerke zum Verkauf an.
- Alpiqs Präsident macht die Binsenwahrheit bekannt, dass die Schweizer AKW niemand will, auch nicht gratis.
Schon vorher haben sich die Lobbyisten der Unterstützung sogar der Sozialdemokraten versichert.
Mit dem Ausgang der Abstimmung über die AKW-Ausstiegsinitiative hat die AKW-Branche ein wichtiges Verhandlungspfand in der Hand behalten. Notfalls kann die Abwälzung der AKW-Folgekosten gegen eine Laufzeitbeschränkung eingelöst und so durchgesetzt werden. Diesen grossen Erfolg, der wie ein Entgegenkommen dargestellt werden kann, haben die AKW-Unternehmen und -Kantone als Kompromiss wenn nötig praktisch schon im Trockenen. Während der Gewinn aus diesem oder einem noch besseren Deal riesig ist — es könnte gut um hundert Milliarden gehen, wenn nicht noch mehr —, ist der Verlust für die Konzerne bescheiden — und je länger je bescheidener. Unterdessen reden die AKW-Konzerne den Erfolg bereits vorsorglich klein — mit freundlicher Unterstützung des Bundes. Nur zwei Beispiele, wie unverschämt die Kosten kleingeredet werden, sind diese: Die Stilllegung der Schweizer AKW soll gerade mal lächerliche 3,4 Milliarden kosten; die gesamten Stilllegungs- und Entsorgungskosten für das AKW in Mühleberg betragen gemäss der BKW nur wenig mehr als 3 Milliarden.
Einigermassen witzig ist Rebers Lobbykonzept, weil daraus hervorgeht, wie geschickt die Lobbyisten mit ihren Aussagen den Auftraggebern, in dem Fall Alpiq, zu gefallen suchen, zum Beispiel, wenn Reber schreibt: «Zudem leidet Alpiq nach wie vor unter der Reputation des „Strombarons“, ein Stigma, das politische Gegner nutzen [sic] um gezielt zur Diskreditierung der Argumente von Alpiq beizutragen.» Oder: «Unkenntnis und falsche Klischees führen dazu, dass die Public Affairs intensiver und erklärender genutzt werden müssen, als bei anderen Unternehmen.» (Tatsächlich haben die Entscheidungsträger bei Alpiq noch viel grössere Fehler gemacht als in anderen Konzernen und die Krise primär selbst verschuldet.) Reber spricht den Stromwirtschaftern zweifellos aus der Seele, wenn er die Kostenfolgen der Atomwirtschaft als «unabsehbar» bezeichnet. Das hindert die AKW-Konzerne aber nicht daran, im Rahmen der Public-Affairs Kampagne Kosten im Milliardenbereich fast auf die Million genau zu prophezeien.
Ziele der Kampagne sind: «Sicherstellen, dass durch geeignete politische Massnahmen die Betriebsrechnung in den Bereichen Wasserkraft und bei der Kernkraft schnellstmöglich wieder positiv ist; Wasserkraft wird gemäss ES 2050 gefördert (Investitionsförderung, Marktprämie) – das Konzept wird im Gesetz und in der Verordnung vernünftig umgesetzt und das Regime der Wasserzinsen wird ergänzend per 2020 verbessert und das Quotenmodell wird neu lanciert; Die Kernkraftwerke können in einer Auffanggesellschaft zusammengefasst und einem staatlichen Eigner übergeben werden; Notmassnahmen: Beide Produktionsformen werden über Gestehungskosten in den Markt verkauft.»
Das grosse Risiko besteht gemäss dem Lobbying-Konzept darin: «Politiker wollen verhindern, Verantwortung zu übernehmen und sprechen von Strombaronen, die ihre Hausaufgaben machen sollen kann [sic] nur begegnet werden durch gezieltes Gegenhalten – dies gilt auch in der Medienarbeit.»
Die ‚Strombarone‘ wollen also keine Verantwortung übernehmen.
Das sollen Politiker tun, die gemäss dem Papier via Medien als «Helden» ins Zentrum zu stellen sind, wohl dafür, dass sie dem Bund die Kosten übertragen, welche die ‚Strombarone‘ verursachten und ihre Eigentümerkantone nicht zu tragen bereit sind.
Die erste und gleich auch die achte «Stossrichtung» in Rebers PA-Konzept ist: Quotenmodell. Und auch bei den Zielen wird das Quotenmodell prominent erwähnt. Der Repower CEO Kurt Bobst ist 2013 und 2014 kaum müde geworden, dieses für Repower nützliche, aber sonst unbrauchbare Modell beliebt zu machen, zum Beispiel in der Handelszeitung oder in der NZZ. Nun bringt also auch Blocher das Quotenmodell ins Spiel.
Das ausgesprochen planwirtschaftliche (Quoten-)Modell wird als „marktwirtschaftlich“ angepriesen — von Bobst und nun auch von Blocher. Bei einem Quotenmodell wird den Stromversorgern vorgeschrieben, welche Herkunft gewisse Stromanteile haben.
Schafft es die Energiewirtschaft das Quotenmodell einzuführen, wird die Energiewende abgewürgt werden, bevor sie in der Schweiz eingesetzt hat. Mengen- statt Preissteuerung ist für eine schnelle Veränderung ungeeignet, denn mit Mengensteuerung erreicht man bestenfalls die Zielvorgaben und diese würden viel zu bescheiden sein. Mit Preissteuerung bzw. Preisanreizen wird dagegen eine Zielvorgabe durch den einsetzenden technologischen und preislichen Fortschritt übertroffen. Gute Beispiele sind Deutschland, wo der Preisanreiz für Erneuerbare Energieanlagen alle Erwartungen übertraf, und Italien, wo Fortschritte ausblieben, bis 2011 ein Preisanreizsystem das vorherige Quotenmodell ersetzte, was zu einem fast unglaublichen Zubau von sauberen Energieanlagen führte, wie in diesem Beitrag auf retropower.ch dargestellt ist.
Für zugebaute saubere Energieanlagen müsste weiterhin Geld ausgegeben werden, denn solche Anlagen bauen sich nicht von selbst. Die Energieunternehmen mit Wasserkraftwerken, also bestehenden Anlagen, würden von einem Quotenmodell massiv profitieren, denn pro Kilowattstunde produziertem Strom würden die bestehenden Anlagen gleich viel Geld erhalten, wie Strom aus einer neuen Anlage kostet. Es würden also primär alte, d.h. schon bestehende Anlagen unterstützt. Statt dass die verfügbaren Mittel in die Energiewende flössen, würde mit ihnen die alte Energiewirtschaft unterstützt. Entsprechend wenig Mittel wären für neue Anlagen vorhanden und entsprechend tief würden die Ausbauziele für sauber Anlagen festgelegt. Die Energiewende bliebe praktisch aus. Das Ziel wäre erreicht — aus der Sicht der alten Stromwirtschaft.
Energiewendebremse Quotenmodell
Ein Quotenmodell wäre für die Stromkonzerne mit Wasserkraftwerken super. Für alle anderen wäre es ein Schildbürgerstreich, der im Wesentlichen einer gigantischen finanziellen Unterstützung der Energieunternehmen mit Wasserkraftwerken durch die gefangenen Stromkunden gleichkäme. Für diese wäre es allerdings ein sehr teuerer Schildbürgerstreich.
Das Quotenmodell mit Inlandvorrang wäre bestimmt nicht aussenhandelskompatibel. Dies ganz im Gegensatz zur Deutschen Energiewende, die ganz klar nicht gegen WTO Richtlinien verstösst. Es ist alles so ganz anders als Blocher behauptet. Man fragt sich, warum der Tages-Anzeiger den unqualifizierten Behauptungen des abgewählten Bundesrats eine Plattform bietet — und der PA-Kampagne nach Dominique Rebers Plan ebenfalls.
Eine im PA-Konzept geäusserte Sorge besteht darin, dass für das Management oder die Verwaltungsräte der Stromkonzerne ein Reputationsrisiko besteht: «Das Risiko, dass das Management der mitwirkenden Firmen bei diesem Schritt selbst zum Thema wird, ist hoch (UBS, Swissair). Dieses Risiko kann nur reduziert werden, wenn ein Konsens bei Experten, Meinungsführern und Politikern besteht, dass die Problematik nicht selbst verschuldet ist.»
Selbstverschulden, egal, wie eindeutig es ist, soll keinesfalls als solches wahrgenommen werden.
Gemäss Blocher sind nur die «Subventionen» Deutschlands für sauberen Strom schuld an der Misere der Schweizer Stromwirtschaft.
Man fragt sich, warum Blocher so sehr gegen diese angeblichen Subventionen Deutschlands ist, wo doch er und seine Tochter massiv genau davon profitieren, dass die kleinen Stromkonsumenten Deutschlands (und nicht etwa Deutschland selbst) der Welt für alle Zeiten kostengünstige und saubere Energietechnologie finanziert haben und darum Strom für die Schweizer Industrie billig wurde.
Dass Blochers alter Geschäftspartner Martin Ebner eine grosse Zahl von Alpiq Aktien hält, ist für die Redaktion des Tages-Anzeiger kein Hemmnis, Blochers Behauptungen zu verbreiten — dies selbst dann, wenn Blochers Behauptungen leicht als Fehlbehauptungen erkennbar oder unrealistisch sind.
Einschub: Tages-Anzeiger bietet Hand zu Lügenpropaganda der SVP
Dank der Komplizenschaft des Tages-Anzeigers gelang es Blocher sogar die 3’200-Franken-Lüge prominent zu platzieren. Zwar schreiben die Journalisten Raffaela Birrer und Markus Häfliger zu Recht als Einleitung zu ihrer Frage: «Die SVP argumentiert mit falschen Zahlen. 3200 Franken koste die Energiewende jährlich pro Haushalt.» Blochers Antwort: «3200 Franken sind richtig und sind nachzurechnen.» In ihrer Einleitung schrieben die interviewenden Journalisten korrekt: «Sie rechnen so eine Lenkungsabgabe mit ein, über die das Parlament noch gar nicht entschieden hat.» Das ist zwar richtig, aber das ist nicht das grosse Problem mit der 3’200-Franken-Lüge der SVP: Das Problem ist, dass die SVP die eventuell mögliche Abgabensumme weitgehend frei erfindet und, noch schlimmer, diese Phantasiezahl mit den Kosten gleichsetzt. Für die meisten Haushalte würden nicht etwa 3’200 Franken an Kosten entstehen. Sie würden im Gegenteil unter dem Strich Geld erhalten. Denn die Abgaben würden — es ist die grossartigste Erfindung der Schweiz aller Zeiten — überwiegend rückverteilt, was im SVP Argumentarium zwar steht aber dennoch für die Rechnung ignoriert wird. (Besonders verschwenderische Haushalte würden dagegen wenig mehr bezahlen als vorher.) Gigantische Summen würde die Energiewende kosten, behauptet die SVP, obschon neue Wind- und Sonnenkraftwerke bereits günstiger Strom produzieren als neue Wasserkraftwerke. Dass die Investitionen auch einen Nutzen bringen, lässt die SVP ausser Acht und dies nicht etwa aus Versehen, sondern bewusst und explizit. Die Zahlen der Partei sind nicht nur aus der Luft gegriffen. Sie sind einfach nur falsch und bewusst irreführend. Aber der Tages-Anzeiger scheint kein Problem damit zu haben, bei der Verbreitung von Lügen Hand zu bieten.
Die Vorgehensweise der Stromkonzerne ist umso bedenklicher, weil viele Kantone, mit den sie repräsentierenden Politikern in den Verwaltungsräten von Alpiq und Axpo, offenbar auch die AKW-Folgekosten auf die Eidgenossenschaft abwälzen wollen.
Bedenklich ist ausserdem, dass, gemäss dem Lobbykonzept, Nationalräte unter den Sozialdemokraten schon ankündigten, zu diesem Tun Hand zu bieten, bevor der Entwurf von Rebers Lobbykonzept überhaupt abgegeben war. Roger Nordmann und Eric Nussbaumer werden diesbezüglich genannt, während das Papier von den Grünen Bastien Girod und Adèle Thorens berichtet: «Verlangen auf dieser Basis eine Reduktion der Laufzeit als politischen Deal für jede Form der Zustimmung.»
Zwischenzeitlich sind die Chancen auf die politische Realisierung von Laufzeitbeschränkungen arg gesunken. Es bleibt abzuwarten, ob die grüne Partei dem grossen Coup der AKW-Branche weiter entgegensteht oder auf ein anderes Gegengeschäft einschwenkt.
Die meisten Kantone (und viele Gemeinden) missbrauchen ihre Energieunternehmen, um über Dividenden und Steuern zusätzliche Einnahmen zu generieren. Es sind eigentlich versteckte Steuern. In den fetten Jahren der Stromwirtschaft trieben die Kantone mit ihren Stromunternehmen dieses Spiel auf die Spitze. Diese Kantone sollen darum in den mageren Jahren für ihre AKW-Unternehmen geradestehen. Sie allein hatten Entscheidungsgewalt über ihre Unternehmen. Sie sollen die Stromkonzerne vor dem Konkurs retten, wenn das überhaupt nötig sein sollte. Allfällige Publikumsaktionäre waren zwar Trittbrettfahrer, hatten jedoch kein effektives Stimmrecht.
Die Kantone haben ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt und die riskanten Projekte für Atom-, Kohle-, Gas- und Pumpspeicherkraftwerke gebilligt, welche die Krise der Stromkonzerne verursachten — mehr als die Strompreisentwicklung. Die neuen Pumpspeicherkraftwerke wurden übrigens lange vor Fukushima projektiert, klar in der Absicht, Strom aus neuen Schweizer AKW für die Pumpen zu verwenden und nicht etwa für den edlen Zweck, sauberen Strom aus Windrädern oder Solarpaneelen zu speichern.
Reaktionen auf das Lobby-Papier der ‚Konsulenten‘
Der grösste Stromkonzern der Schweiz erschliesst mit Rebers Lobbying-Konzept der Organisierten Verantwortungslosigkeit eine neue Dimension. Die erste Phase dieses Plans, Subventionen für Grosswasserkraftwerke, ist fast schon umgesetzt. Die zweite Phase ist richtig «grusig», wie es der Blogger Andreas von Gunten bezeichnete. Scharfe Verurteilungen der HNS-Konsulenten oder von Alpiq wegen des Papiers und der Kampagne sind jedoch bemerkenswert rar.
Die etablierten Medien reagierten erstaunlich nachsichtig auf das Bekanntwerden des Lobbykonzepts. Selbst das Nachrichtenportal, das praktisch als einziges mit einer erheblichen Leserschaft die Schweizer Stromwirtschaft regelmässig kritisiert, äusserte sich in einem Beitrag betreffend Wasserkraft-Lobbying recht gelassen über Auftrag und Arbeit der ‚Konsulenten‘ für Stromkonzerne und Kantone. Ausserdem schrieb Infosperber am Rande eines Artikels: «Kürzlich fiel Reber durch ein PR-Papier für den Atomstrom-Konzern Alpiq auf.» Dieser Artikel behandelt einen anderen Skandal, in den Reber verwickelt ist, eine erstaunliche Kampagne des Bundes gegen Marcos Buser, Geologe und bis vor einigen Jahren Mitglied der Eidgenössischen Kommission für nuklear Sicherheit KNS.
Kein geringerer als Walter Steinmann, der Chef des Bundesamts für Energie BFE, hatte den HNS-Konsulenten Dominique Reber darum gebeten, Buser persönlich zu exponieren. Sein Mitarbeiter Michael Aebersold hatte zu diesem Zweck einen Brief an Reber geschickt. Da es falsch adressiert und ohne jeglichen Absender war, landete das Schreiben schliesslich im Briefkasten von Buser selbst weshalb die Zusammenarbeit des BFE und Reber gegen Buser überhaupt bekannt wurde. ‚Der Bund‘ berichtete.
Der PR-Konsulent Reber hat, nebenbei bemerkt, seine Dauerzutrittskarte zur Wandelhalle des Bundeshauses abgegeben oder abgeben müssen, angeblich als Folge der Kasachstan-Affäre.
In noch mindestens einem weiteren Fall machte Dominique Reber negative Schlagzeilen: Er verbreitete Amtsgeheimnisse und log bezüglich seiner Quelle. «Unabhängigkeit, Integrität, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit» gehören zu den grundlegenden Werten und Prinzipien der ‚Konsulenten‘ — gefolgt von «Diskretion».
Nachdem Rebers Kampagnenkonzept für die Alpiq trotz eindringlicher Warnungen seines Autors durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangt war, erklärten die HNS-Konsulenten, deren Partner Reber ist, zuerst zu ihrer Verteidigung, nur Neider könnten darin Verwerfliches ausmachen. Die PR-Agentur mit gemäss Selbstdarstellung dem Kompetenzbereich „Krisenkommunikation“ wollte dann aber die Publikation verbieten, was sie bezüglich des ursprünglichen Lecks erreichte, aber es ist noch immer verschiedentlich online. Schliesslich nahmen sich die Lobbyisten und selbsternannten Social Media Strategen von Facebook.
Dominique Reber, die ‚Konsulenten‘ und ihre Arbeit für die Bundesverwaltung
Die Konsulenten kennen sich mit der Bundesverwaltung aus. HNS-Partner Victor Schmid war Berater von Bundesrat Flavio Cotti und leitete den Presse- und Informationsdienst des Eidgenössischen Departements des Innern. Matthias Knill (auch: Matthias D. Knill) leitete stellvertretend die Kommunikationsabteilung der Nagra. Hugo Schittenhelm, war Kommunikationschef von Bundesrat Moritz Leuenberger, leitete als solcher den Presse- und Informationsdienst des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation. Zuvor hatte er als Pressesprecher im Eidgenössischen Finanzdepartement die Bundesräte Kaspar Villiger und Otto Stich begleitet.
Auch in anderer Sache setzte der Bund schon auf Dominique Reber und die HNS-Konsulenten. Bundesrat Schneider-Ammann und die ihm unterstellte Seco-Chefin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch liessen sich beide schon von den ‚Konsulenten‘ beraten (wie zum Beispiel auch Werner K. Rey). 2010 begleitete Dominique Reber als Mitglied der Delegation des Bundesrates die Klimaverhandlungen in Kopenhagen.
2012 gab das strategische und interne Aufsichtsorgan des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats, der ENSI-Rat, den HNS-Konsulenten den Auftrag, den Ruf der Behörde aufzupolieren, wie Tages-Anzeiger und Bund berichteten. Der Rat solle, so eine der Empfehlungen der ‚Konsulenten‘ vom November 2012, an einer Pressekonferenz unter anderem die „zwielichtige Rolle“ von Marcos Buser thematisieren. Die ‚Konsulenten‘ waren vom ENSI-Rat mandatiert worden, während sowohl die vom ENSI zu überwachende NAGRA als auch das Bundesamt für Energie die Dienste der ‚Konsulenten‘ in Anspruch nahm und man beim ENSI davon wusste.
Das ENSI weitete das Mandat der HNS-Konsulenten aus und hielt trotz der problematischen Mehrfachmandate bis kurz vor Ende 2013 an der Unterstützung durch die ‚Konsulenten‘ fest. Mindestens zwei der ‚Konsulenten‘ waren dem ENSI-Rat beratend beigestanden. Ob einer der beiden Dominique Reber war, ist bisher nicht bekannt geworden, kann aber wegen des fehlgeleiteten Briefs vermutet werden. Allzu schwarz übermalt sind die Dokumente, welche das ENSI aufgrund des Öffentlichkeitsgesetzes nach einer Anfrage des TA-Journalisten Alan Cassidy publik machte. Namen blieben systematisch abgedeckt und nicht nur das. Sogar Titel und ganze Seiten der Dokumente bleiben der Öffentlichkeit vorenthalten.
In den gerade mal vier von 26 Seiten dieses Protokolls ist (zum Beispiel) mehr an Text abgedeckt als nicht. Aus dem wenigen Lesbaren erhält der interessierte Leser übrigens den Eindruck, das ENSI sorge sich — abgesehen vom eigenen Ruf — mehr um Politik als um die Sicherheit der Atomkraftwerke. In den wenigen publizierten Sätzen gibt es Aussagen wie: «Es wird über die Einschätzungen der weiteren politischen Entwicklung im Kanton Bern bezüglich KKM diskutiert.» Oder: «A. Eckhardt fragt nach der politischen Gewichtung des Sachplanverfahrens.»
Und auch über diesen Satz im Protokoll des ENSI-Rats darf sich der geneigte Leser wundern: «Der ENSI-Rat diskutiert über den Begriff „Sicherheit“ und sieht, dass hier Definitions- und Klärungsbedarf besteht, auch in der Öffentlichkeit.» Das stellte die Atomaufsicht im Jahr 2013 fest, also 44 Jahre nach der Inbetriebnahme von Beznau I.
Der interessierte Leser fragt sich, was da alles noch steht, aber unleserlich gemacht wurde.
Kommentar
Es ist beängstigend, wie viel Vertrauen das UVEK in eine Person wie Reber und in eine Lobbyfirma wie Hirzel.Neef.Schmid setzt und es sollte übrigens alarmieren, wenn ein Staat völlig intransparent auf externe Propaganda-Profis setzt, um zu Gunsten der Strom- und Atomlobby eine perfide Kampagne gegen eine Person oder zwei zu machen, die sich erst noch für die Interessen der Allgemeinheit einsetzen.
Und es ist erschreckend, wenn die Bundesverwaltung ausgerechnet im sensiblen Bereich der Atomaufsicht mit seinen PR-Methoden und zweifelhaften externen Lobbyisten einen „Augiasstall“ kreiert.
Es widerspricht dem Öffentlichkeitsprinzip, wenn die Allgemeinheit nicht erfährt — nicht erfahren soll —, von welchen externen Privaten ein Amt sich beraten lässt und wen der Bund mit öffentlichen Geldern bezahlt, um professionelle Propaganda zu betreiben.
Und es widerspricht dem Prinzip der Gewaltentrennung, wenn die Verwaltung Berater bezahlt, deren Spezialität das Lobbying im Parlament ist.
Wie Grossaktionäre, Manager und Lobbyisten es fertigbringen, dass der Staat die Kostenfolgen der Atomenergie übernimmt, erfährt man am Beispiel Deutschland aus der Sendung «Der große Atom Deal»
Hier gibt es einen weiteren, früheren Artikel mit Beispielen zur Organisierten Verantwortungslosigkeit.
Danke und bravo! Dazu passt der Beitrag über Journalismus in der aktuellen „Die Zeit“:
http://www.zeit.de/2016/51/journalismus-kritik-establishment-medien-macht