Auf heute, 18. Juli, 12.00 Uhr, ist der Prozess gegen Noemi Evoli, Paolo Catanoso und Domenico La Rosa angesetzt, drei Gegner von Repowers Kohlekraftwerk in Saline Joniche. Fabio Bocchiola, der Leiter von Repower Italien, hat im April 2014 — also mehr als ein halbes Jahr nach der Annahme der Volksinitiative «Ja zu sauberem Strom ohne Kohlekraft» in Graubünden — im Namen der Kraftwerk-Projektgesellschaft SEI S.p.A. Anklage gegen vier Aktivisten erhoben. Die SEI, die gemäss jüngeren Angaben der Repower liquidiert werden soll, verlangt vier Millionen Euro Schadenersatz wegen Rufschädigung, besonders wegen satirischer Darstellungen, die sich gegen Bocchiola richten. 1
Giuseppe Toscano, einer der ursprünglich Mitangeklagten, hatte sich von der Bedrohung der Klage und Forderung beeindrucken lassen und zu einem Vergleich mit Bocchiola beziehungsweise der SEI eingewilligt. Er steht darum nicht vor Gericht.
Der Prozess hätte schon am 11. Juli stattfinden sollen, wurde jedoch von den Behörden verschoben — wegen eines Stromausfalls.
Selbst wenn der Prozess nicht erneut aufgeschoben wird, kann es noch Jahre dauern, bis sein Resultat feststeht.
Repower ist in Italien bereits zweimal mit Einschüchterungsklagen gescheitert. 2
Am Samstag vor dem geplanten und verschobenen Termin versandte das Coordinamento Associazioni Area Grecanica – NO AL CARBONE eine Medienmitteilung, die von verschiedenen Medien in Kalabrien publiziert wurde. Evoli und Catanoso sind im Coordinamento aktiv. 3
An erster Stelle wirft Bocchiola den Angeklagten vor, das Kohlekraftwerk mit dem Konzentrationslager Auschwitz verglichen zu haben, ein Vorwurf, den die Angeklagten des Coordinamento umgehend zurückwiesen. 4
Mit dem Versuch, den Konzentrationslagervergleich in die Öffentlichkeit zu tragen, hat sich die Repower scharfe Kritik zugezogen. Die Repower wurde in diesem Zusammenhang bei der Manipulation der Öffentlichkeit und der Medien ertappt, einer von vielen Fällen von Fehlverhalten, welche die Verantwortlichen des Konzerns verleugnen. 5
Kommentar zum Vorgehen von Fabio Bocchiola
Dass die Klage weiter aufrechterhalten wird, obschon sie nun der Liquidation der SEI im Weg steht, zeigt, wie sehr bei Repower noch immer ein Führungsmanko besteht. Auch Repowers CEO Kurt Bobst hatte Bocchiolas Klage verteidigt. 6
Die Repower hatte mit Halbwahrheiten, Lügen und Fehlbehauptungen die Gegner des Kohlekraftwerks aufs Äusserste provoziert. 7
Hätte Repower das Kohlekraftwerk realisiert, wäre der Konzern zwischenzeitlich in Konkurs gegangen oder hätte vom Kanton Graubünden gerettet werden müssen. 8
Dennoch klagt das Bündner Energieunternehmen weiterhin gegen Umweltschützer, verlangt Schadenersatz in einem Mass, dass, sollte der Klage nur teilweise stattgegeben werden, die Angeklagten wegen einiger Karikaturen lebenslänglich wirtschaftlich ruinieren würde. Es wäre ein seltsames Dankeschön dafür, dass die Gegner des Kraftwerkprojekts die Repower vor dem Untergang bewahrt haben. 9
Wenn das Energieunternehmen, das angeblich nur noch sauber Strom produzieren will, ernst genommen werden soll, muss es damit aufhören, auf zweifelhaft Art und Weise das Kohlekraftwerkprojekt in Kalabrien voranzutreiben. Solange dies nicht geschieht, bleiben Repowers Absichtserklärungen der Besserung unglaubwürdig. 10
Nachtrag, 18. Juli 2016
Der Prozess ist erneut verschoben worden. Der neue Termin ist der 24. Januar 2017.
Nachtrag, 21. März 2017
Der Prozess fand auch am 24. Januar 2017 nicht statt, weil die SEI am Tag zuvor aufgelöst wurde und unklar war, ob die Angeklagten unter diesen Umständen auf eine Durchführung des Prozesses bestehen können. Gestern 20. März wurde entschieden, dass die Angeklagten während einer Frist von drei Monaten über dieses Recht verfügen und es bei einem beliebigen Gesellschafter der ehemaligen SEI geltend machen können.
Nachtrag, 26. Juli 2017
Der Prozess scheint nicht verlangt worden zu sein und es kann als sicher gelten, dass er nicht stattfinden wird.
Damit ist ein weiteres Kapitel der Auseinandersetzung um das Kohlekraftwerk von Saline Joniche abgeschlossen. (Noch ist der Verkauf des Grundstücks ausstehend.)
Kommentar in eigener Sache
Es gibt nun keinen Grund mehr, bei der abschliessenden Beurteilung von Repower’s Vorgehen in der Sache Saline Joniche Zurückhaltung zu üben. Der Fortschritt ist in dieser Hinsicht willkommen.
Dennoch ist zu bedauern, dass der Prozess nicht stattfindet und das aus der Sicht des Schreibenden extrem problematische Vorgehen von Fabio Bocchiola gegen die angeklagten Aktivisten für Repower keine realen negativen Folgen nach sich zieht.
Anmerkungen
Anmerkung 1
Vgl. auch den Übersichtsartikel zur Klage «Repower-Kohlekraftwerk: Die umstrittenen Vergleiche der Millionenklage». Die Klageschrift ist hier verfügbar. Einige der Graphiken, die Anlass oder Vorwand zur Klage boten, werden im Beitrag «Ursachen und Hintergründe der Millionenklage» gezeigt.
Anmerkung 2
Ein anderer Gegner des Kohlekraftwerks, Michelangelo Tripodi, wurde 2008 von Repower verklagt, weil er feststellte, das Unternehmen habe mit den Kräften der Unterwelt kooperiert. Repower verlor den Prozess — sehr zu recht, wie die Öffentlichkeit unterdessen in Italien von den Medien informiert wurde. Nach Beendigung seines Mandats verklagte der Berater von SEI Repower, Franco D’Aquaro, Paolo Catanoso privat (mehr dazu). Catanoso hatte an der Generalversammlung 2014 der Repower erklärt, dass D’Aquaro sich mit den Mafiaclans über den Bau des Kohlekraftwerks geeinigt habe, worüber zu diesem Zeitpunkt die Behörden und Medien in Italien längst berichtet hatten. Nach anfänglichem Widerstand D’Aquaros wies das Gericht die Klage als gehaltlos ab und archivierte sie. Notizen über Repower und die Mafia sind hier zur Verfügung gestellt.
Anmerkung 3
Mit Verweis darauf, dass es sich um eine Medienmitteilung des ‚Coordinamento‘ handelt, wurde er Text hier publiziert. Ausserdem wurde die Meldung von verschiedenen anderen Medien übernommen, z. B. von Strettoweb, Calabriapost oder Il Dispaccio.
Anmerkung 4
Paolo Catanoso bestritt eine Verbindung des Coordinamento mit dem Auschwitz-Vergleich schon kurz nach Bekanntwerden der Klage an einer Medienkonferenz in Landquart. Repowers peinliche Versuche, durch die Manipulation der Öffentlichkeit diesen Vorwurf dem Coordinamento in die Schuhe zu schieben, sind in diesem Beitrag beschrieben (einschliesslich Video mit Catanosos Aussage).
Anmerkung 5
Die Beiträge «Lügen und verleumden» und «Leugnen von Fehlverhalten» befassen sich mit dem angeblichen Auschwitz-Vergleich. Einige der Fälle von Fehlverhalten der Repower sind in diesem Artikel beschrieben. Die Fälle werden im Dossier «Die zweifelhaften Methoden der Repower» gesammelt, das noch im Aufbau ist.
Anmerkung 6
Repower CEO Kurt Bobst verteidigte die Klage mit einer Aussage, die er am Rand der Generalversammlung 2014 machte. Sie ist in diesem Ausschnitt eines Beitrags des Fernsehens festgehalten.
Anmerkung 7
Einige Provokationen und Fehlbehauptungen der Repower in Italien (und in der Schweiz) betreffend das Kraftwerkprojekt sind im Beitrag «Die umstrittenen Vergleiche der Millionenklage» dokumentiert.
Anmerkung 8
Auf die Diskrepanz zwischen neuer Strategie und der Klage sowie der Tatsache, dass die Repower-Tochtergesellschaft SEI das Bewilligungsgesuch für das Kohlekraftwerk nicht zurückzieht, wurde kürzlich mittels einer Aktion hingewiesen (Medienmitteilung vom 7.7.2016, Flyer).
Anmerkung 9
Der Beitrag «Kohlekraftwerke sterben nicht. Sie werden getötet.» erläutert, dass die Projektaufgabe in Brunsbüttel und anderswo die Folge der Arbeit von Umweltschützern ist.
Anmerkung 10
Die zur aktuellen Situation bezüglich Repowers Engagement für das Kohlekraftwerks, trotz Ausstiegsversprechen, ist im Beitrag «Ist die Kehrtwende der Repower ein leeres Versprechen?» erörtert.