Wie aus einem Schreiben des italienischen Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung vom 18. November hervorgeht, hat am Tag zuvor die Repower Tochtergesellschaft SEI S.p.A. das Projektgesuch für das Kohlekraftwerk in Saline Joniche zurückgezogen. Das Ministerium hat in der Folge das Bewilligungsverfahren beendet, „archiviert“.
Aus dem Schreiben der SEI, das in demjenigen des Ministeriums enthalten ist, geht hervor, dass die Projektgesellschaft in ihrer regulären Versammlung vom 8. November ihre eigene Liquidation beschloss. Gemäss früheren Angaben der Repower hatte sich der Verwaltungsrat der SEI schon in diesem Frühjahr für die Liquidation entschieden und sie war spätestens im Juli in Gang.
Klage noch aktiv
Die Gegner des Kohlekraftwerks in Kalabrien kommunizierten die Neuigkeit über das Ende des Projekts via Facebook, wo sie schrieben: «Stolz auf dieses Resultat erwarten wir nun wie immer mit Zuversicht, dass der Prozess, der noch gegen Paolo, Noemi und Domenico in Gang ist, sich möglichst bald mit gleichem Erfolg beenden möge.» („Orgogliosi di questo risultato attendiamo adesso, con la fiducia di sempre, che il processo ancora in atto contro Paolo, Noemi e Domenico si concluda al più presto con lo stesso esito.“) Der Prozess ist nach mehreren Verschiebungen nun auf den 24. Januar 2017 angesetzt. Mit der Klage, die im Frühjahr 2014 eingereicht wurde, fordert die SEI von den Gegnern des Kraftwerks mehrere Millionen Euro Schadenersatz.
Es ist Zeit, dass die Repower einen Schlussstrich unter das gescheiterte Vorhaben in Kalabrien zieht und die Klage gegen die Aktivisten zurücknimmt.
Was lange währt, wird endlich gut
Das Projekt, das seit 2006 entwickelt und fast ebenso lange bekämpft wurde, war seit Jahren stark angezählt und starb schliesslich einen ausgeprägt langsamen Tod.
Mit einer gewissen Genugtuung lässt sich feststellen, dass der Chefentwickler Luca Poggiali den Behörden die Aufgabe des Projekts selbst mitteilte. Dies geht aus dem Schreiben des Ministeriums hervor. Auch die vielfach wiederholte Manipulation der Medien, bei der sich auch Poggiali negativ hervortat, hat nicht gereicht, das Milliardenprojekt durchzusetzen.
Ort des Scheiterns fossiler Projekte
Was nun aus dem Grundstück der ehemaligen Liquichimica Fabrik wird, ist offen. Es ist der Ort für gescheiterte Projekte auf der Basis von fossilem Kohlenstoff schlechthin. In den 70-er Jahren sollten dort Futtermittel aus Erdöl produziert werden, aber nicht lange. Vom Projekt profitierte wohl primär die Ndragheta, die kalabrische Mafia. Dieselbe Absicht wird sie auch bezüglich des Kohlekraftwerks gehabt haben. Gemäss Behördenaussagen hatte sich der Berater von SEI/Repower, Franco D’Aquaro, bereits 2008 mit den lokalen Clans des organisierten Verbrechens entsprechend vereinbart.
Der Kamin (Titelbild) ist ein Relikt der Liquichimica. Greenpeace Aktivisten haben erst kürzlich (am 7. Oktober) die Schrift „STOP CARBONE“ angebracht.
Mit dem Ende des Projekts in Saline Joniche löst sich eine weitere der Fehlbehauptungen in Luft auf, welche die Bündner Unterstützer des Projekts 2013 so zahlreich in die Welt setzten. Neben vielen weiteren unterdessen widerlegten Behauptungen hatten sie verbreitet, das Kraftwerk würde ohnehin gebaut, auch ohne Repower.
Eine weitere Genugtuung ist diese: Die Repower und ihre Wasserträger haben die Auseinandersetzung um die Kohlekraftwerke in Saline Joniche (und Brunsbüttel) in mehrfacher Hinsicht verloren:
- Repower würde das Projekt nicht mehr realisieren wollen, denn das finanzielle Risiko und der Reputationsschaden wären zu gross.
- Repower könnte das Kraftwerk nicht mehr bauen, weil die Firma nahe am Konkurs war und nicht mehr ausreichend kreditwürdig ist.
- Und die Repower dürfte das Kraftwerk nicht mehr bauen, denn die Bündner Stimmbürger haben ihr dies verboten.
Gewinner und Verlierer
Das Ende des Projekts in Saline Joniche ist auch ein Erfolg der länderübergreifenden Zusammenarbeit beim Kampf gegen Umweltzerstörung und Klimawandel.
Gewonnen haben aber nicht nur die vielen direkt am Erfolg beteiligten, sondern es ist ein Erfolg auch derer, die mit Nachdruck die Einführung von sauberen Energien verlangen, wie schon hier auf retropower berichtet wurde.
Das Graubündner Energieunternehmen hat hingegen gleich mehrfach verloren, und viel Geld dazu. Gegen 40 Millionen Franken dürfte das Bündner Unternehmen in Kalabrien verpulvert haben. Für eine Projektentwicklung — bis zum bescheidenen erreichten Reifegrad — ist es eine exorbitante Summe.
Verloren hat die Stromindustrie, die zu lange glaubte, Klimawandel betreffe sie nicht. Saline Joniche war das letzte Projekt eines Schweizer Stromkonzerns für ein Kohlekraftwerk.
Das endgültige Scheitern in Saline Joniche markiert das Ende einer verfehlten Epoche. Es bedeutet das Ende der letzten Kohlekraftwerk-Neubauwelle in Westeuropa. Für die fehlbaren Energieunternehmen mit ihren gescheiterten Kraftwerken und Projekten ist es bereits Zeit zur Reue.
Hat Repower gewonnen oder verloren?
Manchmal gibt es eindeutige Gewinner und aber auch eindeutige Verlierer. Es hätte für Repower aber noch viel schlimmer kommen können.
Hätte das Graubündner Unternehmen das Kraftwerk realisiert, wäre es der ganz grosse Verlierer der Kohlekraftwerk-Investitionseuphorie geworden, denn selbst ein Anteil von nur 20%, wie schliesslich vorgesehen gewesen war, wäre für das relativ kleine Unternehmen wahrscheinlich fatal gewesen.
Milde personelle Konsequenz
Innerhalb der Repower gab es bisher nur wenige Wechsel. Der Verwaltungsrat wurde verkleinert und an der Spitze wich der aus der Maschinenindustrie stammende Eduard Rikli dem ehemaligen CEO der Raiffeisen Schweiz Pierin Vincenz. Die gescheiterte expansive Strategie mit Kohlekraft hatte Vincenz schon vor seinem Eintritt bei Repower explizit verteidigt — und bei dieser Gelegenheit den „Verantwortlichen in der Energiebranche“ vorsorglich oder versöhnlich sein Vertrauen ausgesprochen.
In der Geschäftsleitung ist der Austritt des Finanzchefs Stefan Kessler, wenn nicht vollzogen, so angekündigt. Als Jurist und bis dahin Chef des Rechtsdiensts hatte er etwa während des Höhepunkts der öffentlichen Auseinandersetzung um Saline Joniche den Finanzchef Martin Gredig ersetzt, der den Stromkonzern fristlos verlassen hatte.
Der Leiter Marketing, Giovanni Jochum, verliess das Unternehmen wohl als Folge des Liquiditätsenpasses, der eine Kapitalerhöhung erforderlich machte.
In den beiden ganz wichtigen Positionen der Geschäftsleitung, wo sich Wechsel schon lange aufdrängen, bleiben jedoch Veränderungen bisher aus. Warum der Verwaltungsrat der Repower weiterhin an CEO Kurt Bobst und dem Italienchef Fabio Bocchiola festhält, ist rätselhaft. Es dürfte — so der Verdacht des Schreibenden — mit dem wahrscheinlich immer noch grossen Einfluss von Regierungsrat Mario Cavigelli auf die Personalpolitik des Unternehmens zusammenhängen. Dieser Einfluss manifestiert sich unter anderem durch die Nominierung und schliesslich Wahl von Pierin Vincenz als neuen Präsidenten des Verwaltungsrats.