Die Schweizer Stromkonzerne arbeiten schon lange daran, die Folgekosten der Atomkraftwerke auf den Bund abzuschieben. Ein besonders erwähnenswerter Aspekt ihres Vorgehens, die Arbeit der HNS-Lobbyisten für Alpiq, wurde schon beschrieben. Dieser Artikel behandelt einige weitere Aspekte.
Weil es um Beträge von unabsehbarer Höhe geht, wollen auch die Kantone und Städte, die hinter den Konzernen stecken, sich der finanziellen AKW-Altlast befreien. Es zeichnet sich ein Coup Organisierter Verantwortungslosigkeit ab, wie er in der Schweizer Energiewirtschaft beispiellos ist. Deutschland hat den analogen Coup schon abgesegnet — unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In der Schweiz ist er sehr gut eingefädelt.
„Entsorgung“
169 Milliarden soll die vermeintlich endgültige Wegsperrung des Atommülls in Deutschland kosten — dann einmal in etwa 100 Jahren. Die kürzlich erneuerte Kostenschätzung der Atommüll-Wegsperrung in der Schweiz besagt: bescheidene 9,8 Milliarden.
Das Schweizer Endlager für radioaktive Abfälle ist erst eine diffuse Absicht, aber bereits haben die AKW-Betreiber 5,5 Milliarden für Stilllegung und Entsorgung ausgegeben. Für die zweifellos sehr viel höheren Kosten, die noch kommen, wenn das Tiefenlager gebaut und gefüllt wird, liegen in den Fonds für Stilllegung und Entsorgung erst gerade bescheidene 6,9 Milliarden bereit. Zu heutigen Preisen soll gemäss Betreibern und Bundesbehörden das Wegsperren des AKW-Mülls in der Schweiz nur gerade 13,2 Milliarden kosten und schon in rund 30 Jahren abgeschlossen sein. Es wäre ein Tiefenlager im Handumdrehen zum Schnäppchenpreis.
Die Zahlen sind umstritten. 100 Milliarden werde die Wegsperrung des radioaktiven Abfalls kosten, behauptet der von ENSI und Bund gemobbte Spezialist Marcos Buser. Auf 50 bis 100 Milliarden schätzt die SES die Kosten. Gut möglich, dass es noch teurer wird als 100 Milliarden. Bisher sind die Zahlen der Kostenprojektionen auch in der Schweiz immer nur gestiegen. Was die Beseitigung der AKW-Altlasten schliesslich kosten wird, weiss niemand. Wann die Beseitigung abgeschlossen sein wird, weiss der Liebe Gott, wenn es einen gibt.
Stilllegung
Auch die Stilllegung der Atomkraftwerke soll in der Schweiz besonders günstig werden. Dass Kostenvorhersagen in diesem Bereich praktisch immer ausgesprochen positivistisch sind, weiss, wer es wissen will. Bereits lange bevor die erste Schraube des ersten kommerziellen Schweizer Atomkraftwerks entfernt wurde, steigen die Stilllegungskosten in die Höhe. Gemäss Schätzung der Betreiber (Kostenstudie 2016 — Stilllegung, S. 95) soll der Rückbau der AKW Gösgen und Leibstadt für je nur rund eine Milliarde zu bewerkstelligen sein. Bescheidene 3,4 Milliarden soll der Abbruch der fünf Schweizer Reaktoren kosten — zusammengenommen (vgl. Graphik). Er müsste dies nicht tun, aber der Bund scheint gewillt zu sein, diese Kostenprojektionen zu akzeptieren.
Es wird noch sehr lange dauern, bis das erste Endlager nur schon ausführlich geplant ist. Ob es dann liefert, was es soll, wird man in ca. 10’000 Jahren genauer wissen, ob es geliefert hat in einigen hunderttausend Jahren, wenn nicht erst in Millionen. Sie nennen den Vorgang «Entsorgung». Es ist ein zweifelhafter Ausdruck. Aber er ist insofern zutreffend, als die Sache den Stromkonzernen grosse Sorgen bereitet. Sich von diesen Sorgen zu befreien, ist nun immer dringlicher ihr Ziel.
Die Kosten sind für Konzerne wie Alpiq, BKW oder Axpo bedrohlich weil unermesslich. Den Konzernen droht ein schlechtes Kreditrating — was sie zum Teil bereits haben —, wodurch sie bei ihren Geschäften massiv behindert werden. Nur wenn sie die «unabsehbaren» Folgekosten abstreifen können, haben die Schweizer Atomstromkonzerne eine Perspektive. Diese «unabsehbaren» Kosten wollen sie darum der Eidgenossenschaft übertragen.
Das war zweifellos schon immer der Plan der AKW-Konzerne gewesen. Nun nähert sich der Plan der Organisierten Verantwortungslosigkeit seiner Schlussphase an. Denn die Konzerne denken an einen grossen, dreisten Coup, einen „Deal“ wie in Deutschland.
«Ein gigantischer Griff ins Klo, diese Technologie» (Henry Cordes, nach 05:20 Minuten). Jedoch: Es kommt darauf an, für wen. Bericht über den grossen Coup in Deutschland, das Vorbild für die Schweizer AKW-Konzerne. | ‚Der große Atom-Deal‚ des ARD, auch auf youtube.
AKW-Abschalttermine würden den Coup behindern
Die zwischenzeitlich abgelehnte Ausstiegsinitiative hatte für etwas Aufregung gesorgt, was mit dem geplanten Coup zusammenhängt. Aus verschiedenen Gründen ist es für die Stromkonzerne wichtig, dass einige Atomkraftwerke auf unbestimmte Zeit weiterlaufen:
- Wäre die Restlaufzeit bekannt, wäre leicht berechenbar, wie gross die Beiträge der AKW-Betreiber sein müssen, um die Entsorgungsfonds gefüllt zu haben, wenn das letzte AKW vom Netz geht — wenigstens in dem Mass gefüllt, wie die AKW-Betreiber via NAGRA postulieren, und die Bundesverwaltung glaubt, die Fonds gefüllt sein müssten (s. Ausschnitt aus Arena, unten).
- Wenn es für sie überhaupt nötig ist, können die AKW-Konzerne nun eine Laufzeitbeschränkung in einen Deal einbringen, der sie von den AKW-Folgekosten befreit.
- Je länger die AKW laufen, umso näher sind die Konzerne am Abgrund und umso plausibler können sie unverfroren mit der folgenden Drohung agieren: Die Folgekosten würden zum Bankrott führen. Wenn das geschieht, muss der Bund nicht nur die AKW-Folgekosten sowieso tragen. Er muss zusätzlich rechtfertigen, dass er am Verderben der AKW-Konzerne mitschuldig ist.
«Und das werden wir eines Tages über Steuergelder finanzieren müssen, da bin ich überzeugt.» (Beat Jans); «Das ist eine Behauptung.» (Doris Leuthard). Jans erklärt, dass die AKW-Folgekostenfonds nicht korrekt alimentiert werden, wenn unklar ist, wie lange die AKW noch laufen. Doris Leuthard wiegelt ab und bezeichnet sich als «hier die wahrscheinlich Glaubwürdigste». | Ausschnitt aus der Sendung Arena des Schweizer Fernsehens vor der Abstimmung über die Ausstiegsinitiative.
Aufblähen der Krise als Mittel zum Zweck
Die Lösung für die AKW-Kantone ist diese: Es soll die Meinung herrschen, dass es für den Bund gar keine Alternative gibt, als die Kosten der Verwahrung des strahlenden Mülls zu übernehmen.
Die AKW-Konzerne steuern zielstrebig auf den abschliessenden Coup zu und sie tun es nach Dominique Rebers Drehbuch, in dem steht: «Der Gang zur politischen Lösung wird nur empfohlen, wenn es aus wirtschaftlichen Gründen keinen anderen Ausweg gibt.» (Public Affairs Konzept für die Alpiq, S. 14; Abschnitt 11, Empfehlungen; erster Satz.) Das Konzept war durch ein Leck an die Medien gelangt. Der Skandal, den dieses Papier darstellt, wurde auf retropower.ch bereits ausführlich beschrieben.
Noch scheint sich die Strombranche nicht ganz einig darüber zu sein, wann genau es gelingen soll, glaubhaft darzustellen, dass es „aus wirtschaftlichen Gründen keinen anderen Ausweg gibt“. Die Kommunikation der Stromkonzerne lässt vermuten, dass Alpiq den grossen Coup schon bald will, während die Axpo eher noch zuwarten möchte, denn sie verfügt noch über Liquidität. Die BKW scheint ihrerseits darauf zu spekulieren, erfolgreich Trittbrett fahren zu können, darauf hoffend, dass einige AKW weit über das Abschaltdatum von Mühleberg hinaus weiterlaufen und es dereinst zu einer Lösung kommen wird, die dann allgemein gilt: Der Bund übernimmt alle AKW-Folgekosten, egal um welches AKW es sich handelt.
In der gleichen Situation wie die genannten Konzerne sind viele weitere, kleinere Teilhaber von AKW. Darunter sind Unternehmen, wie zum Beispiel die Repower oder die SN-Energie und hinter ihnen Graubünden bzw. St. Gallen. Besonders betroffen sind die Städte Bern (via die EWB, öffentlichrechtlich) und Zürich via die EWZ. Letztere ist ebenfalls eine Öffentlichrechtliche und als solche eine Dienstabteilung der Stadt Zürich, die nun ausgelagert werden soll — das ist kaum Zufall.
Es sind nicht so sehr die ohnehin bescheidenen Deckungsbeiträge, die sich die AKW-Konzerne, und im Hintergrund die AKW-Kantone, vielleicht bei einem Weiterbetrieb ihrer Atomkraftwerke erhoffen. Je länger die Krise der Konzerne andauert, umso mehr soll es für sie möglich werden, gegenüber dem Bund und der Öffentlichkeit ihren Plan als alternativlos darzustellen: Der Bund soll die immensen Kosten der Atommüllentsorgung übernehmen. Besser gesagt: die Steuerzahler sollen die AKW-Folgekosten berappen.
Seit Jahren schon bereitet die AKW-Lobby diesen Coup vor, der jetzt in die etwas offenkundigere Schlussphase kommt. Lange Vorarbeit hat bereits das Forum VERA geleistet, das Verbindungsglied, zwischen Atom-Lobby, Politik und Öffentlichkeit. Das „Forum“ wird massgeblich von der NAGRA finanziert. Letztere leistet gemäss der VERA-Website „einen substantiellen finanziellen Beitrag“.
Der Bund, der seinerseits an der NAGRA beteiligt ist, ist also schon lange in eine Kampagne eingebunden, mit der das angeblich so sehr hochgehaltene Verursacherprinzip im AKW-Bereich ausgehebelt werden soll. Absurd aber wahr: Der Bund finanziert eine Kampagne mit, die das Ziel verfolgt, Kosten auf die Eidgenossenschaft abzuwälzen. Statt wie versprochen die AKW-Unternehmen und die AKW-Kantone und -Städte, die mit ihren Konzernen in den fetten Jahren abkassierten, sollen nun die Steuerzahler des Bundes für die endlose Verwahrung des radioaktiven Mülls bezahlen — ganz nach der Devise: Die Gewinne selektiv uns, die Kosten der Allgemeinheit.
In einer ‚Ethik-Broschüre‚ schreibt die Nationalrätin und VERA-Präsidentin Kathy Riklin (CVP): «Die Stimmberechtigten in diesem Land haben in den letzten Jahrzehnten durch verschiedene Abstimmungen immer wieder bestätigt, dass sie die Kernenergie für die Stromerzeugung nutzen wollen. Damit ist gewissermassen jedes Radionuklid, das sicher entsorgt werden muss, demokratisch legitimiert.»
So wird der Begriff Verantwortung ins Gegenteil verdreht, Verantwortungslosigkeit gezielt organisiert und unverfroren öffentlich gefordert.
Kosten steigen viel schneller als Zinserträge
Die jüngste Kostenstudie rechnet mit zwei Prozent Realverzinsung des Fondskapitals, was jährlich etwa 125 Millionen beisteuern würde. Seit es regelmässige Kostenschätzungen gibt (vgl. Diagramm unten), beträgt der Zuwachs der prognostizierten Kosten knapp 10 Milliarden in 15 Jahren, also rund 650 Millionen pro Jahr — viel mehr als der Zinsertrag.
Kostet die Verwahrung des radioaktiven Mülls 100 Milliarden, würde dies einen Zuschlag auf den Strompreis von etwa 9 Rappen pro Kilowattstunde bedeuten — für 45 Betriebsjahre der AKW, wie es die kürzlich abgelehnte Ausstiegsinitiative vorsah. Der Bund verlangt Prämien für den Rückbau der Anlagen und die Verwahrung der Abfälle. Diese Beträge wurden von vorher 174 auf 262 Millionen erhöht — ein „Sicherheitszuschlag“, den die AKW-Konzerne gerichtlich anfechten. Umgerechnet beträgt die Prämie mit „Sicherheitszuschlag“ rund ein Rappen pro Kilowattstunde.
Beiträge sollen sinken statt steigen
Statt die Beiträge weiter zu erhöhen, sollen sie gesenkt werden. Und das nicht etwa bescheiden. Die Kritiker Buser und Wildi schreiben: «Neu sollen die Beiträge für die Stilllegung in 5 Jahren bei 108 statt wie bisher 339 Millionen liegen». Bei der Entsorgung sind es gemäss nuclearwaste.info für die nächsten 5 Jahre nur noch 253 Millionen statt 707 Millionen. Die viel zu geringen Beiträge sollen demgemäss um rund 2/3 gekürzt werden!
Selbst wenn Busers Zahl (100 Milliarden) viel zu hoch angesetzt sein sollte, ist klar, der umgerechnet etwa eine Rappen, den die AKW-Betreiber in die Atomkostenfolgefonds des Bundes bisher einschliesslich „Sicherheitszuschlag“ einzahlen sollen, reicht niemals aus — jetzt, gegen Ende der Lebensdauer der AKW wird diese Erkenntnis unausweichlich.
Unausweichlich wird eines Tages auch die Frage, warum dieser Betrag nicht angepasst wurde, als dies noch möglich gewesen wäre, rechtzeitig vor dem Aus der AKWs und dem Niedergang der AKW-Konzerne. Und rechtzeitig vor dem anderen „gigantischen Griff ins Klo“, den riesigen Investitionen in fossile Auslandkraftwerke.
Je länger die AKW noch laufen, desto weniger sind diejenigen noch in einem politischen Amt, die zu verantworten haben sollten, dass die während des AKW-Betriebs eingezahlten Beträge nicht annähernd für den AKW-Rückbau und die Verwahrung des Atommülls ausreichen.
Von der Nachschusspflicht zur Kostenübergabe
Das bestehende Kernenergiegesetz sieht in seinem Artikel 80 an erster Stelle für die Betreibergesellschaften von Atomkraftwerken eine Nachschusspflicht vor, sollten der Aufwand für Entsorgung oder Stilllegung die Mittel der dafür vorgesehenen Fonds übersteigen.
Ausserdem haften die Betreibergesellschaften solidarisch. Fällt eine Betreibergesellschaft als Beitragsleitstende aus, müssen die verbleibenden AKW-Gesellschaften die Lücke füllen.
Allerdings hat die Atomlobby bereits vorgespurt und mit dem vierten und letzten Absatz von Artikel 80 einen Fuss in die Türe des Tresors des Bundes gestellt. Dieser Absatz heisst: «Ist die Deckung des Differenzbetrages für die Nachschusspflichtigen wirtschaftlich nicht tragbar, beschliesst die Bundesversammlung, ob und in welchem Ausmass sich der Bund an den nicht gedeckten Kosten beteiligt.» Finanzielle Nicht-Tragbarkeit ist Bedingung dafür, dass dieser vierte Absatz zum Zug kommt. Den Konkurs anzukündigen, macht vor diesem Hintergrund absolut Sinn, egal wie falsch die Konkursdrohung ist, weil Kantone und grosse Städte hinter den Konzernen stehen.
Jammern hilft der AKW-Wirtschaft. Liquidität schadet ihr.
Riesige Gewinne, wie sie die Konzerne bis ca. 2010 machten und grosse Liquiditätsreserven, die aufgebaut worden wären, hätten die Schweizer Stromkonzerne nicht wie manisch in fossile Auslandkraftwerke investiert, passen hingegen gar nicht in den Plan für den grossen Freischlag der AKW-Konzerne und -Kantone und -Städte — gemäss viertem Absatz, des Artikel 80, Kernenergiegesetz.
Auf diesen vierten Absatz werden sich diejenigen beziehen, die den Multi-Milliarden-Plan der Organisierten Verantwortungslosigkeit abschliessend in die Tat umsetzen wollen.
Voreiliges Entgegenkommen von Links
Der SP Nationalrat Roger Nordmann beschreibt in seinem Positionspapier wie mittels Aktiengesellschaften im Besitz von Kantonen und Städten sowie untergeordneten Betreiber-Aktiengesellschaften die Verantwortung ausgehebelt wird.
Nordmann stellt „prima vista“ zwei „Lösungsansätze“ vor. In einen Fall übernimmt der Bund die nicht gedeckten Folgekosten der AKW, im anderen Fall übernimmt er auch die Atomkraftwerke — mitsamt den Folgekosten. Bestenfalls gibt es eine Kostenbeteiligung der AKW-Unternehmen über die bisher geleisteten Zahlungen an die AKW-Fonds des Bundes hinaus.
Nordmann hat kein Problem damit, sich für genau das einzusetzen, was die Stromkonzerne wollen. Sie sollen nach den Vorstellungen des SP Energiepolitikers einfach als ‚too big to fail‘ gelten, ganz so, als ob nicht Kantone und Städte hinter den Konzernen stünden. Weder Axpo noch Alpiq müssen je Bankrott gehen, denn deren Besitzer gehen nicht bankrott und können also die Konzerne tragen und refinanzieren, statt dass der Bund die mit dem strahlenden Müll einhergehenden finanziellen Verpflichtungen übernimmt — oder sogar die rückzubauenden AKW dazu.
Nordmann bestreitet, dass sie AKW noch positive Deckungsbeiträge erwirtschaften. Doch wenn das so wäre, warum wollen die AKW-Betreiber die Meiler weiter laufen lassen? Statt mit der Kündigung der AKW-Müllhypothek erklärt Nordmann den Weiterbetrieb der AKW Leibstadt und Gösgen mit der vielfältig gemischten Besitzerstruktur ihrer Betreibergesellschaften in denen (sehr wahrscheinlich) jeder Besitzer einzeln ein Veto einbringen kann, sollte der Weiterbetrieb aus wirtschaftlichen Gründen in Frage gestellt werden. Ein Veto macht Sinn, wenn der Weiterbetrieb für einzelne Anteilseigner weiter gewinnbringend ist. So spekuliert Nordmann.
Wegen der ElCom-Regeln für die Preisgestaltung für gefangene Stromkunden könnte Nordmann recht haben. Dennoch sollte erwartet werden, dass jeder Strombezüger und AKW-Teilhaber den Strompreis ab AKW mit dem Strompreis im Grosshandel vergleicht und sich für letzteren entscheidet. Ausserdem herrscht auch in Gremien von Aktionären mit einem Bindungsvertrag ein minimaler sozialer Druck für einen vernünftigen Konsens.
Viel wichtiger als ein Deckungsbeitrag aus dem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke ist für die Konzerne, dass ein unbefristeter Weiterbetrieb den grossen Coup vereinfacht.
Nordmann irrte sich, wenn er im erwähnten Papier schrieb: «In dieser Hinsicht ist der Vergleich mit dem Bündener [sic] Konzern Repower interessant: frei vom Kernenergiegeschäft hatte er keine Probleme, Investoren zu finden.» Wie auf retropower.ch schon erörtert wurde, besitzt das Bündner Stromunternehmen jedoch einen signifikanten Anteil von AKW-Beteiligungen. Genau genommen sind es Unterbeteiligungen oder Strombezugsrechte. Die AKW-Beteiligungen waren bei der Kapitalerhöhung bestimmt ein Hindernis gewesen, denn die angebliche Verkaufsabsicht dieser Beteiligungen entstand im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung. Und die AKW-Beteiligungen dürfen den Kreis derjenigen Unternehmen eingeschränkt haben, die mit der Kapitalerhöhung bei Repower einstiegen. Die Repower hat kurz vor der Kapitalerhöhung erklärt, die AKW-Anteile verkaufen zu wollen. Ob die Verkaufsabsicht ernsthaft ist — Repower müsste wohl bereit sein, für das Abstossen der Beteiligungen viel knappes Geld einzusetzen —, wurde bereits hier in Frage gestellt.
Nicht die falsch vermutete Abwesenheit von AKW-Anteilen hat die Kapitalerhöhung der Repower ermöglicht. Politiker, wie Nordmann, die sich nicht scheuen, der Organisierten Verantwortungslosigkeit zu dienen, haben diese Kapitalerhöhung trotz der AKW-Anteile begünstigt, weil Unternehmen wie EKZ — und Städte wie Zürich oder Bern — zweifellos darauf zählen, die finanziellen Altlasten der AKW dem Bund überwälzen zu können.
(Wie eine UBS-Fondsgesellschaft mit dem Namen „Clean Energy Infrastructure Switzerland“ sich an Repower beteiligen konnte, ohne rot zu werden, entgeht dem Schreibenden. Abgesehen davon, dass die Repower wesentlich AKW-Anteile besitzt, ist die Produktion von sauberem Strom für Repower auch sonst fast schon ein Nischengeschäft. Vgl. Diagramm in diesem Beitrag.)
Die Diskussionen um Schadenersatzforderungen vor der Abstimmung über die Ausstiegsinitiative sind für die Stromkonzerne in zweierlei Hinsicht nützlich: Als Argument gegen die Initiative und absehbar als Faustpfand beim grossen Atom-Deal in der Schweiz.
Selbst wenn die behaupteten Einbussen bei einer Laufzeitbeschränkung der Realität entsprächen: Solche Beträge könnten die Betreiber notfalls leicht schultern, die Besitzerkantone sowieso. Aber bei den Entsorgungskosten geht es um sehr viel mehr, vielleicht um das 50-fache, oder sogar um das 100-fache einer Milliarde, wenn das reicht. Und die Verpflichtungen halten bis in praktisch alle Ewigkeit an. Das ist für die Unternehmen eine extreme Hypothek und auch sogar für die betroffenen Kantone und Städte eine schreckliche Perspektive. Bei der Wegsperrung des Atommülls geht es um die Substanz. Das ist entscheidend. Der Rest ist Geplänkel.
Die Konzerne haben nicht nur in Artikel 80 des Kernenergiegesetzes vorgespurt. Die Verantwortungslosigkeit ist schon lange und zusätzlich gut organisiert worden. Das ist nicht erstaunlich, denn wer wollte bei so viel Geld etwas dem Zufall überlassen.
Unklare Nachschusspflicht
Mit den Betreibergesellschaften KKW Gösgen-Däniken und KKW Leibstadt sind, was die beiden grossen Schweizer AKW betrifft, nur Aktiengesellschaften mit bescheidenen Mitteln für die Entsorgung und den Rückbau zahlungspflichtig. Dass diese Gesellschaften erstens allein nicht zahlungsfähig sein werden, wenn ihre Kraftwerke abgeschaltet sind, war schon immer klar. Dass aber zweitens die Konzerne und Unternehmen, welche wiederum die Betreibergesellschaften besitzen, sich vielleicht (oder angeblich) rechtlich aus der Verantwortung stehlen können, erfuhr die Öffentlichkeit erst gerade am 13. November 2016: «Eine Haftung der Aktionäre [gemeint sind die Besitzer der Betreibergesellschaften] könnte nur gestützt auf eine spezielle Regelung in Gründungs- und Partnerverträgen vorhanden sein», schrieb die Sonntagszeitung. Und sie zitiert die Eidgenössische Finanzkontrolle so: «Diese Verträge hat die EFK nicht einsehen können.»
Das Gesetz gaukelt uns also eine Zahlungspflicht von Unternehmen für Entsorgung und Rückbau der AKW vor. Die Beträge können einen Umfang von 20 bis 100 Milliarden annehmen — wenn nicht noch mehr. Aber die Bundesverwaltung hat sich in 37 Jahren kommerziellem AKW Betrieb in Gösgen und 32 Jahren in Leibstadt nie darum gekümmert, dass diese marginal kapitalisierten Betreibergesellschaften auch etwas nachschiessen können, was sie per Gesetz müssten, wenn die Fondseinlagen für den AKW Rückbau und die Wegsperrung des strahlenden Mülls nicht ausreichen.
Nur schon den Sachverhalt der Nachschusspflicht beziehungsweise einer Regressmöglichkeit abzuklären, empfanden der Bundesrat und die Behörden offenbar mehr als 30 Jahre lang für unnötig — oder unmöglich. Was die Finanzkontrolle des Bundes, die Energiekommission des Nationalrats oder das Bundesamt für Energie angeblich (angeblich!) nie einsehen konnten, gelang dem SP Nationalrat Nordmann, obschon Nordmann ganz im Gegensatz zum Bund die Einsicht ja nicht per Verordnung oder einfacher Drohung erwirken konnte. Das Resultat von Nordmanns Einsichtnahme ist: «Ich weiss [ ], dass es keine spezielle Klausel in den Partnerverträgen gibt [welche die Nachschusspflicht auch den Partnern, sprich den Aktionären, auferlegen würde].» So liess sich Nordmann in der Sonntagszeitung zitieren, wo gleich anschliessend steht (Zitat): Die Verträge seien so abgefasst, dass die beteiligten Stromfirmen sie «jederzeit kündigen und sich aus der finanziellen Verantwortung verabschieden» könnten.
Es bestehen jedoch begründete Zweifel darüber, dass die an Leibstadt oder Gösgen beteiligten Gesellschaften die Nachschusspflicht mit einem billigen Trick bereits abgestreift haben. Im Geschäftsbericht der CKW, die an Gösgen und Leibstadt beteiligt ist — und ausserdem an AKEB —, findet sich dieser Satz: «Für die Eigentümer von Kernanlagen bestehen gegenüber den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds begrenzte Nachschusspflichten für den Fall, dass ein einzelner primär Leistungspflichtiger seine Zahlungen nicht leisten kann.» Interessant ist dabei auch das Wort „begrenzt“. (GB 2015/16, S. 38)
Klärungsbedarf
Eric Nussbaumer will die Frage, ob sich die an Gösgen oder Leibstadt beteiligten Unternehmen bereits aus der Nachschusspflicht verabschiedet haben, durch die Bundesverwaltung klären lassen. Ein entsprechendes Postulat ist im Nationalrat eingereicht, aber noch unbehandelt.
Klärung tut Not. Zusätzlich sind zum Teil Energieunternehmen gar nicht direkt an den Betreibergesellschaften beteiligt, sondern an Beteiligungsgesellschaften wie an der AKEB, der Aktiengesellschaft für Kernenergiebeteiligungen. Die Kette der zwischengeschalteten Gesellschaften kann beträchtlich sein. Im Fall der Beteiligung des Kantons Zürich via EKZ und Repower am AKW Leibstadt ist die Abstufung so: Die Axpo Trading ist an der KKL (Leibstadt, eine AG) beteiligt, die AKEB (eine AG) ist an der KKL via die Beteiligung der Axpo unterbeteiligt. Die Repower (eine AG) besitzt einen Teil der AKEB, die EKZ (öffentlichrechtlich) einen Teil der Repower, der Kanton Zürich besitzt die EKZ. Im schlimmsten Fall müsste der Bund über all diese Stufen Regressmöglichkeiten haben, um schliesslich beim Kanton Zürich auf eine fast mit Sicherheit zahlungsfähige Instanz zu stossen.
Dabei ist unklar, beziehungsweise unbekannt, ob die AKEB gegenüber der KKL AG nachschusspflichtig ist. Die AKEB bezweckt nach ihrem eigenen Geschäftsbeschrieb nur das Verteilen von Bezugsrechten, nicht die Abgabe von Unterbeteiligungen — wie es ihr Name Aktiengesellschaft für Kernenergiebeteiligungen vermuten liesse. Die AKEB selbst ist gemäss ihrem jüngsten publizierten Geschäftsbericht (2015) aber an Leibstadt mit 15% unterbeteiligt, unter der Axpo Trading. Mit 90 Millionen Franken ist die AKEB gut kapitalisiert, hat also Kapital beigetragen und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Aktionäre der AKEB auch eine Nachschusspflicht aufweisen.
In anderen Fällen scheinen Elektrizitätswerke eindeutig beteiligt, bzw. unterbeteiligt zu sein. So steht zum Beispiel auf der Website der St.Galler SN-Energie: «Die SN Energie besitzt an den Kernkraftwerken Gösgen und Leibstadt über die Alpiq AG Unterbeteiligungen.» Im Falle der Repower (bezüglich Gösgen) und in Nidwalden (EWN), dürfte der Sachverhalt analog sein.
Die Komponenten der Organisierten Verantwortungslosigkeit sind beim grossen Coup:
- Die Planung der Entsorgung ist Sache der AKW-Unternehmen, die sich für diesen Zweck in der NAGRA zusammengeschlossen haben. Damit können die AKW-Konzerne die Umsetzung der AKW Abfallbeseitigung beliebig weit in die Zukunft verschieben und die Kosten der Umsetzung können durch den Bund nicht wirklich abgeschätzt werden. Der Bund kann sich auf die diffusen Kostenprojektionen der NAGRA stützen, welche primär durch die AKW-Konzerne finanziert ist, und natürlich stützt sich der Bund darauf. Die tiefgestapelten Kosten bewirken, dass die korrekte Aufstockung der AKW-Fonds des Bundes noch während des Betriebs der Kraftwerke fast schon im Keim erstickt wird.
- Betreibergesellschaften (Gösgen, Leibstadt) mit knapper Kapitalisierung; keine Vereinbarung des Bundes mit diesen Betreibergesellschaften, dass die liquiden Teilhaber (Kantone und Städte) in die Pflicht genommen werden können. Zum Teil sind zusätzlich Beteiligungsgesellschaften zwischen die Betreibergesellschaften und die Stromkonzerne geschaltet und es gibt verschachtelte Unterbeteiligungen.
- Es wird dafür gesorgt, dass die Konzerne wenig liquid sind. In guten Zeiten wurde darum wie manisch in Pumpspeicher- und in fossile Auslandkraftwerke investiert.
- Die AKW-Folgekostenfonds des Bundes bleiben bis zum endgültigen Stillstand der Atomkraftwerke unterversorgt, weil die Laufzeiten der AKW nicht beschränkt und deshalb nicht im Voraus bekannt sind.
- Das Kernenergiegesetz sieht die Übernahme der Kosten bereits vor, auch wenn der Schein bis zuletzt aufrecht erhalten wird, die Verursacher würden für die Stilllegung der Werke und die Verwahrung des für praktisch alle Zeiten strahlenden Mülls bezahlen.
Kommentar
Der ganz grosse Coup der Schweizer Stromwirtschaft gleicht dem Vorgang, der dazu führte, dass die Eidgenossenschaft die Schweizer Grossbank UBS mit vielen Milliarden rettete. Der Vorgang prägte den Begriff der Organisierten Verantwortungslosigkeit. Im Zentrum des grossen Coups Organisierter Verantwortungslosigkeit der Stromwirtschaft steht erneut die Behauptung eines drohenden Konkurses bzw. die Behauptung, nicht für die AKW-Altlasten aufkommen zu können.
Die AKW-Unternehmen sind letztlich fast ausschliesslich im Besitz von Kantonen und Städten, die zahlungsfähig sind, es bleiben, und geradestehen könnten und müssten, wenn „Verantwortung“ gelten soll.
Die gigantischen Investitionen von Alpiq, Axpo und BKW in fossile Kraftwerke im Ausland und in grosse Pumpspeicherkraftwerke sind vielleicht auch vor dem Hintergrund des sich anbahnenden Coups zu sehen. Übermässig viel Liquidität ist hinderlich, wenn der Bund sich anschicken könnte, liquide Mittel für die Bewältigung der AKW-Altlasten einzufordern.
Einen grossen Unterschied zur Organisierten Verantwortungslosigkeit bei der Rettung der UBS gibt es allerdings: Im Fall der Grossbank gelang der Coup in einer Blitzkampagne, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Im Fall der AKW-Folgekosten, kündigt sich der Coup schon seit Jahren oder Jahrzehnten ziemlich gut wahrnehmbar an.
Begünstigt wird der grosse Coup der Organisierten Verantwortungslosigkeit der Schweizer Strombranche von PR-Vehikeln und Lobbyisten wie VERA und den HNS-Konsulenten.
Die Rolle von Doris Leuthard
Mit Doris Leuthard ist eine Vertreterin eines wichtigen AKW Kantons und eine Freundin der Stromwirtschaft im Energiedepartment positioniert. Das Department, das den Coup verhindern müsste, ist das Finanzdepartement. Mit Ueli Maurer ist dort für die Stromwirtschaft ein zuverlässiger Diener im Amt.
Wie anderswo die Mafia es tut, hat die AKW-Wirtschaft an den wichtigsten Stellen im Staat — ganz zuoberst — verlässliche Gehilfen positioniert.
Wird Doris Leuthard vor ihrem Abgang aus dem Bundesrat der Strombranche den grossen Coup ermöglichen? Oder setzt sie darauf, dass die AKW-Folgekosten noch lange genug tiefgestapelt werden können, dass sie ihr Amt längst verlassen haben wird, wenn der Coup über die Bühne geht? Bis dahin, so spekuliert die Bundesrätin vielleicht, wird ihre Rolle, die zum Skandal führte, kaum thematisiert werden. Je länger die AKW laufen, umso weniger wird Leuthard mit dem sich abzeichnenden Desaster in Verbindung gebracht werden. Vielleicht hat sie sich deshalb so sehr gegen die Atomausstiegsinitiative eingesetzt und sich dabei zum Fenster hinausgelehnt.
Die AKW-Kantone und -Konzerne haben auch die zweitwichtige Schaltstelle, die zuständigen Kommissionen des Parlaments, bereits besetzt.
Wäre es nicht dreckig, wäre es bewundernswert, wie perfekt der grosse Coup bereits vorbereitet ist. Das Ziel der Operation ist: den Staat missbrauchen und ausrauben. Sozusagen. Die Gewinne den AKW-Unternehmen, AKW-Kantonen und AKW-Städten. Die Kosten und die ewige Haftung dem Bund.
Die Rolle der SP
Warum der SP Nationalrat Roger Nordmann vor der Abstimmung über die Ausstiegsinitiative Einsicht in wichtige Dokumente gewann und warum er es für sinnvoll hielt, diese Information gerade dann bekannt zu machen, steht im Artikel der Sonntagszeitung nicht. Nordmann will den Atomausstieg. Er glaubte wohl, er bekomme ihn eher, wenn er die Situation so darstellen kann, dass die AKW-Besitzer so oder anders praktisch nichts für die Folgekosten der AKW bezahlen werden. Alpiq will die Folgekosten der AKW dringend abschütteln. Hier gibt es eine Gemeinsamkeit und eine Allianz — wenn es auch vordergründig eine überraschende Allianz ist.
«Und SPler Eric Nussbaumer», so schrieb die Sonntagszeitung, «hofft, dass wie beim Atomkompromiss in Deutschland auch hiesige Stromfirmen einwilligen, zusätzlich zu den sowieso geschuldeten Zahlungen in den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds noch ein bis zwei Milliarden draufzuzahlen, wenn sie dafür aus der ewigen Haftung entlassen würden.»
Der Umgang mit den Folgekosten der AKW ist ein extremer Fall Organisierter Verantwortungslosigkeit. Die wichtigste Zudienerin der Verantwortungslosigkeit ist Doris Leuthard. Weitere Zudiener sind in der Bundespolitik sehr gut vertreten, auch in der SP.
Stimmungsmache von verschiedener Seite
Auch die jüngste Nebelpetarde von Christoph Blocher, der Subventionen für AKW forderte, sollte in diesem Licht gesehen werden. Es geht Blocher nicht darum, den Stromkonzernen Subventionen zu verschaffen. Diese Forderung ist komplett unrealistisch. Es geht ihm darum, mental das Terrain für den grossen Coup vorzubereiten, indem die AKW-Konzerne als zahlungsunfähig dargestellt werden, was die Folgekosten der Atomkraftwerke betrifft. Schon einmal hat Blocher der AKW-Wirtschaft Bundesmillionen verschafft. Nun geht es um viele Milliarden. Nebenbei dient Christoph Blocher seinem Raider-Partner Martin Ebner zu.
Nach Ablehnung der AAI noch bessere Ausgangslage für die Stromkonzerne
Es wäre nützlich gewesen, den Radionukliden der VERA-Präsidentin Kathy Riklin (CVP, ZH) ihre angebliche Legitimation demokratisch zu entziehen. Mit dem Verlust der Ausstiegsinitiative wurde diese Chance verpasst. Es ist umso schwieriger, den ganz grossen Coup der Organisierten Verantwortungslosigkeit zu verhindern und auch im Bereich der Atomenergie auf das Verursacherprinzip zu pochen, von dem immer vorgegeben wurde, dass es Voraussetzung und Prinzip für die Zulassung der AKW sei.
Einen Schritt hin zu noch mehr Verantwortungslosigkeit hat die Axpo gerade getan. Der Konzern soll in einen sauberen und einen nicht durch die AKW-Folgekosten belasteten Teil aufgespalten werden. Die Verwaltungsräte aus der Politik haben sich bereits elegant aus der Verantwortung genommen. Ein Lehrbeispiel der Organisierten Verantwortungslosigkeit, wie sie schon auf retropower.ch beschrieben ist.
Kein Anlass zu Gleichgültigkeit
Es mag die Versuchung bestehen, gegenüber der AKW Wirtschaft Kulanz zu zeigen und zu argumentieren, dass es keine Rolle spiele, ob die Steuerzahler der Kantone und Gemeinden oder diejenigen des Bundes die Zeche der AKW-Altlasten tragen (oder die Stromkonsumenten). Es ist absehbar, dass die Politiker, die für die Interessen der Strom- und AKW-Wirtschaft einstehen, so argumentieren werden. Die es-spielt-keine-Rolle Argumentation greift zu kurz, denn:
- Wer Kosten verursacht, sie aber nicht tragen muss, wird versucht sein, dieses Spiel wieder und immer wieder zu spielen. Die AKW-Konzerne und mit ihnen ihre Aktionäre haben profitiert, einschliesslich die Bevölkerungen der Besitzerkantone. Nun sollen sie auch bezahlen. Es geht darum, dass Verantwortung erst gilt, wenn sie Konsequenzen hat.
- Die Lasten sind nicht gleich verteilt. Die Bevölkerung von Basel Stadt, als eindeutiges Beispiel, würde bei einer Kostenübernahme durch den Bund ungerechtfertigterweise zahlungspflichtig.
- Man mag nun argumentieren, dass alle Stromkonsumenten vom vermeintlich billigen Strom profitiert haben. Das mag sein, aber Stromkonsumenten sind nicht gleich Steuerzahler.
Werden Aussenhandelseffekte berücksichtigt, geht die Verteilungsrechnung schon gar nicht auf. Die Stromkonzerne haben vermeintlich billigen Atomstrom teuer zum Beispiel nach Italien verkauft. Italien aber bezahlt die Entsorgung nicht mit. Ein „gigantischer Griff in Klo“, in der Tat. Volkswirtschaftlich schon, aus Sicht der Konzerne aber nicht, ausser sie müssen für die atomaren Folgekosten bezahlen.
Der Bund müsste dringend dafür sorgen, dass er die AKW-Kantone und -Gemeinden in die finanzielle Pflicht nehmen kann. Dies muss auch dann funktionieren, sollten sie versucht sein, ihre Stromkonzerne Konkurs gehen lassen oder die AKW in eine Bad Bank auszulagern, um diese zu verkaufen.
Um die auf den grossen Coup hinsteuernden AKW-Kantone und AKW-Städte in die Pflicht zu nehmen, könnte eine Atomkraft-Nachlassgesellschaft gebildet werden, wobei alle Institutionen der öffentlichen Hand zu Trägern würden — mit Anteilen gemäss Verursacherprinzip. Damit würde die im Kernenergiegesetz postulierte solidarische Haftung realisiert. Die AKW-Besitzer der öffentlichen Hand müssten zur Gründung einer Atomkraft-Nachlassgesellschaft gezwungen werden, denn ohne Zwang werden sie es nicht tun.
Das Konzept der AKW-Unternehmen und ihrer Besitzerkantone war fast von Anfang an gewesen, die längerfristigen Folgekosten der Atomtechnologie dem Bund zu übertragen. Andernfalls hätten sie nicht nahezu von Beginn weg eine eigentliche Lobby-Industrie aufgebaut. Und gerade läuft dank freundlicher Unterstützung der obrigkeitsgläubigen Presse die Public Affairs Kampagne zu diesem Zweck wie geschmiert — egal wie peinlich es ist, dass jeder, der es wissen will, nun wissen kann, wie „grusig“ und schamlos die Strombranche genau in dieser Sache operiert.
«Vielleicht wird es dereinst eine Lösung geben, die wir uns heute nicht vorstellen können, möglicherweise auch mit dem Staat. In Deutschland ist das im Übrigen bereits der Fall. Dort kommen die Betreiber für die Kosten der Stilllegung auf, der Staat für die Kosten der Entsorgung.» Dies sagte der Axpo Chef Andrew Walo in der NZZ am Sonntag vom 30. Oktober 2016. (Online zitiert von der Aargauerzeitung.) Dabei kann gerade der Axpo CEO Walo sich diese Lösung nicht nur vorstellen. Er arbeitete in dem Moment, als er dies sagte, zielstrebig an der „Lösung“, wie auch die teuersten Lobbyisten des Landes.
Mindestens sechs grössere Städte und 16 Kantone sind an Schweizer AKW beteiligt — gemäss einer Graphik, die kürzlich im Tages-Anzeiger erschien. Werden Unterbeteiligungen berücksichtigt, ist, wie im Haupttext erläutert, die Graphik nicht komplett, denn zum Beispiel Graubünden oder Nidwalden sind in ihr nicht aufgeführt.
Damit die AKW-Kantone und -Städte für die Kostenfolgen der Atomwirtschaft gerade stehen, braucht es dringend eine Regelung. Wer wird dafür einstehen? Die Stände- und Nationalräte der AKW-Kantone, die in den Energiekommissionen des Bundes so gut vertreten sind, werden es kaum sein. Ueli Maurer wird es nicht tun, Doris Leuthard schon gar nicht — und ihre Parteikollegin Kathy Riklin auch nicht. Die AKW-Kantone und die Stromkonzerne haben den Staat fest im Griff. Der grosse Coup ist schon fast so gut wie geschafft.
Referenzen
- AKW-Besitzer haften nicht für Gösgen und Leibstadt. Die schwach kapitalisierten Betreiberfirmen müssten zahlen — der Löwenanteil der Kosten bliebe aber beim Steuerzahler hängen. P. Tischhauser, D. von Burg, Sonntagszeitung, 13. November 2016
- Alpiq: Staat soll AKW übernehmen. Verwaltungsratspräsident Jens Alder will Gösgen und Leibstadt verschenken. Denis von Burg, Pascal Tischhauser. Sonntagszeitung, 6. November 2016